Mindestlöhne am Theater: Im Rampenlicht, am Existenzminimum

Nr. 19 –

Die Theater in der Schweiz gelten als hoch subventioniert. Dabei werden fast überall Tieflöhne unter 4000 Franken bezahlt. Ein Städtevergleich.

Die letzte Schweizer Kulturrevolution trägt einen klangvollen Namen: «Opernhauskrawall». Sie entzündete sich 1980 in Zürich, weil das Opernhaus für Millionen saniert, aber kein autonomes Jugendzentrum eröffnet werden sollte. Der Aufbruch war nicht nur für kulturelle Freiräume dringend nötig, sondern prägte das heutige städtische Bewusstsein wesentlich mit. Bloss hält sich seither auch ein Gerücht hartnäckig: dass die Stadttheater, diese alten Bühnen des Bildungsbürgertums, besonders solide finanziert seien.

Die Subventionen für sich betrachtet scheinen das zu bestätigen: 93 Millionen Franken gab der Kanton Zürich im Jahr 2013 als Betriebsbeiträge für die Kultur aus, 81 Millionen davon gingen ans Opernhaus. Macht neunzig Prozent! 96 Millionen gab die Stadt Zürich an Beiträgen aus, 38 Millionen gingen ans Schauspielhaus. Macht immer noch vierzig Prozent! Bloss: Was bleibt den Beschäftigten an den Theatern, wenn der Vorhang fällt? Der Gesamtarbeitsvertrag für das künstlerische Solopersonal zeigt: An den Schweizer Theatern werden Tieflöhne bezahlt.

«Hungerlöhne abschaffen»

Der Mindestlohn ist nicht einheitlich geregelt, sondern wird für jede Institution einzeln verhandelt. Für die laufende Spielzeit beträgt er am Opernhaus Zürich 4020 Franken brutto und für das Schauspielhaus 4000. Für das Theater Basel sind es noch 3800 Franken, für die Theater Bern und St. Gallen je 3700, für das Luzerner Theater 3500 und für das Theater Biel-Solothurn bloss 3400. Nur die beiden Häuser in Zürich erreichen also knapp die Grenze von 4000 Franken, wie sie die Mindestlohninitiative fordert, die am 17. Mai zur Abstimmung kommt.

«Auch an den Theatern hat sich in den letzten Jahren die Lohnschere geöffnet, zwischen den wenigen Stars und dem grossen Rest», sagt Hannes Steiger vom Schweizerischen Bühnenkünstlerverband SBKV. Zu den Ausnahmen gehört etwa Matthias Hartmann, der als Direktor des Zürcher Schauspielhauses bis zu 500 000 Franken jährlich verdient hat und jüngst am Wiener Burgtheater wegen nicht nachvollziehbarer Buchhaltung entlassen wurde.

Grund für die Tieflöhne, so Steiger, seien in erster Linie der schlechte gewerkschaftliche Organisationsgrad der internationalen und zeitlich befristet engagierten Ensembles: «Bei den Lohnverhandlungen machen die Direktoren das Wetter.» Bei den SchauspielerInnen, TänzerInnen und SängerInnen handle es sich zudem um hoch spezialisierte Berufe, sodass kein Wettbewerb spiele. «Die TechnikerInnen verdienen häufig mehr als die Künstler, weil es für sie konkurrierende Arbeitsmärkte gibt.»

«Hungerlöhne, noch dazu an öffentlich subventionierten Theatern, gehören abgeschafft», fordert der SBKV und unterstützt die Mindestlohninitiative. «Die Politik nimmt heute ihre Kontrollfunktion selten wahr, obwohl es sich bei den Theatern um öffentliche Institutionen handelt: Es gibt keine Lohntransparenz», sagt Steiger. Wobei er betont, dass an den Theatern letztlich alle auf dem gleichen Ast sitzen. «Die Lohntransparenz darf nicht als falsches Argument für Sparübungen dienen.» Es brauche nicht weniger, sondern mehr Subventionen, gerade für anständige Löhne.

Bei den genannten Mindestlöhnen handelt es sich um Einsteigerlöhne – und das für Leute, die über einen Hochschulabschluss verfügen. Dass sich aber auch mit jahrelanger Berufserfahrung nicht viel mehr verdienen lässt, zeigt das Beispiel des Schauspielers Matthias Albold. Seit vierzehn Jahren arbeitet er am Theater St. Gallen – und verdient heute 5200 Franken im Monat. Als vierfacher Familienvater kommt er damit oft «nur sehr, sehr knapp» durch. «Die prekären Löhne schaffen einen psychischen Druck», sagt Albold. «In der Hochpreisinsel Schweiz braucht es einen Mindestlohn, der den Lebenskosten angemessen ist.»

Albold hat sich in der Tarifkommission des SBKV engagiert. Als die Personalvertreter die Forderung nach einem höheren Mindestlohn auf den Tisch legten, hat das immerhin eine erste Wirkung entfaltet. In St. Gallen stiegen die tiefsten Löhne seit 2005 von 3100 auf 3700 Franken, für die kommende Saison werden es 3800 sein. Am Schauspielhaus Zürich dagegen stagnierten sie bei 4000 Franken.

Preiszerfall in der Werbung

Noch prekärer ist die Situation für die Freien. Weil es hier keinen Sozialpartner gibt, hat der Berufsverband der Freien Theaterschaffenden ACT Richtgagen erarbeitet. «In den letzten Jahren hat der Druck auf die Löhne stark zugenommen», sagt Claudia Galli von ACT. In der Werbung, für viele Freie eine wichtige Einnahmequelle, sei ein eigentlicher Preiszerfall zu beobachten. Auch ACT unterstützt die Forderung nach einem Mindestlohn: «In der Werbung wäre das Geld dafür vorhanden», ist Galli überzeugt. Bei Projekten der freien Szene sei wichtig, dass sie von Staat, Stiftungen und Sponsoren ausfinanziert würden, damit am Schluss nicht die Beschäftigten für ein Defizit bezahlten. «Auch freie Projektgelder müssen als gebundene Subventionen betrachtet werden.» Sonst würden sie bei den anstehenden Sparrunden in den Kantonen zur Manövriermasse.

Das Verhältnis zwischen der freien Szene und den Stadttheatern gestalte sich zwar nicht immer spannungsfrei, sagt Galli, doch in den letzten Jahrzehnten seien die Theater durchlässiger geworden. Den Lohndruck spürten alle, ob fest oder frei: «Hier unterstützen wir uns gegenseitig.»