Durch die Fussball-wM, diesmal mit Tadeu Souza: «Welchen Einfluss hat die WM auf Ihr Geschäft?»

Nr. 26 –

Der Barbetreiber Tadeu Souza über unterschiedliche Geschäftspraktiken, die Mietpreisentwicklung in São Paulo und ein interessantes Geschenk von Coca-Cola.

Tadeu Souza in seiner Bar: «Als die Fans auf der Strasse feierten, habe ich so viel eingenommen wie sonst in einer Woche.»

WOZ: Herr Souza, was braucht es, um eine Bar wie die Ihre zu betreiben?
Tadeu Souza: Ich sage immer: Ehrlich währt am längsten. Ich bin kein Wirt, der seinen Kunden sieben Biere aufschreibt, wenn sie in Wirklichkeit nur sechs getrunken haben, aber zu besoffen sind, um sich zu erinnern. Ich kassiere dann sechs Biere, wie es sich gehört. Wir einfachen Leuten sind so. Mich würde 
das Geld nicht glücklich machen, das ich so 
bekomme. Da bin ich anders als die Politiker. Die klauen ohne schlechtes Gewissen.

Wie lange sind Sie schon Kneipenwirt?
Seit vierzehn Jahren. Ich bin als Jugendlicher mit meiner Mutter aus Bahia nach São Paulo gekommen. Manchmal habe ich heute noch Heimweh. Wenn Brasilien in diesen Tagen bei der Copa spielt, sage ich oft zu meinen Kunden: Ich bin eigentlich gar kein Brasilianer – ich bin Bahianer.

Das ist natürlich ein Witz, aber etwas ist dran. Wir Leute aus dem Nordosten sind entspannter, warmherziger. Nicht so verschlossen und auf die Arbeit fixiert wie die Paulistanos. Auch deswegen bin ich ein guter Wirt. Die Leute mögen meine entspannte Art.

Ihre Beiz, die Bar do Tadeu liegt gerade zehn Gehminuten von der Arena Corinthians entfernt, dem Stadion, in dem die Fussball-WM eröffnet wurde und insgesamt sechs Spiele stattfinden. Welchen Einfluss hat die WM auf Ihr Geschäft?
Eigentlich einen positiven. Meine Bar liegt auf dem Weg von der U-Bahn-Station zum Stadion. Deswegen kamen auch die Leute von Coca-Cola und der Bierbrauerei Brahma vorbei. Sie haben zwei brandneue Kühlschränke neben den Eingang gestellt. Jeder soll sie sehen.

Beide Unternehmen sind Fifa-Sponsoren.
Ja, und ich darf die Kühlschränke auch nur mit ihren Getränken füllen. Aber die Firmen bringen mir regelmässig Nachschub, was sehr komfortabel ist. Die Kühlschränke sollten nämlich nicht leer sein. Ausserdem haben mir die Werbefritzen von Coca-Cola und Brahma Dekomaterial für meine Bar dagelassen. Als die Fans während der WM-Spiele hier auf der Strasse feierten, habe ich so viel eingenommen wie sonst in einer Woche.

Wie läuft normalerweise das Geschäft?
Ach, ganz normal. Wir sind eine Bar, in der sich die Nachbarschaft trifft, um ein Bier oder einen Schnaps zu trinken. Die Leute kommen vorbei, um Streichhölzer, Kaugummis, Zigaretten oder Kartoffelchips zu kaufen. Ich öffne um zehn Uhr morgens und schliesse um Mitternacht. Jeden Tag ausser montags. Ich schätze, dass im Durchschnitt täglich 200 Leute bei mir vorbeischauen. Ich kenne die meisten mit Vornamen. Meine Frau bereitet in der Küche Essen vor, das hier in der Vitrine steht: Trockenfleisch, Würstchen, Hühnchen, Rippchen.

Und so kommen Sie über die Runden?
Ja. Aber nur, weil meine beiden erwachsenen Kinder berufstätig sind und zum Haushaltseinkommen beitragen. Wir wohnen alle zusammen in einem kleinen Haus, das ich gekauft habe. Es liegt hier in der Nähe, in einem Viertel mit sehr einfachen Menschen. Woanders würde man das «Favela» nennen. Aber ich bevorzuge den Begriff «comunidade», Gemeinde. Die Preise sind in São Paulo in den vergangenen Jahren so stark gestiegen, dass wir unser Geld zusammenlegen müssen. Keins meiner Kinder – ich habe eine Tochter und 
einen Sohn – könnte alleine wohnen, die Mieten sind hier viel zu hoch. Seit feststand, dass die WM hier stattfindet, ist zum Beispiel die Pacht für meine Kneipe von 1100 Reais auf 1500 Reais angestiegen.

Sie liegt also nun bei 600 Franken. Was halten Sie vom neuen Stadion? Ursprünglich sollte es 820 Millionen Reais kosten. Am Ende wurden 1,4 Milliarden Reais daraus (mehr als 560 Millionen Franken).
Die Differenz ist in privaten Taschen verschwunden. Das ist doch in Brasilien so üblich, die Korruption, die Vetternwirtschaft, das weiss doch jeder. Die Baukonzerne und die Immobilienunternehmen bezahlen die Wahlkämpfe der Parteien. Das ist eine grosse Mafia. Aber ich will nicht meckern. Wir alle fahren mal bei Rot über die Ampel. Diese Mentalität gibt es auch bei den kleinen Leuten. Aber klar ist auch: In Brasilien werden die Reichen immer reicher.

Wie haben Sie die vergangenen zehn Jahre erlebt, die Jahre der Arbeiterpartei PT von Lula da Silva und Präsidentin Dilma Rousseff?
Für die kleinen Leute waren es gute Jahre. Jeder, der das bestreitet, ist ein Lügner. Lula und Dilma haben sich zum ersten Mal um die einfachen Menschen gekümmert. Lula noch mehr als Dilma. Er war früher Metallarbeiter – das war ich auch mal. Ich hatte schon viele Jobs. Heute stehe ich hinter der Bar, und ich bekomme eins mit: Alle meine Kunden haben ein wenig mehr Geld in der Tasche.

Haben Sie ein Lieblingsgetränk?
Milch! Spass beiseite. Ich komme aus Bahia, genauer gesagt aus dem Sertão. Das ist eine raue Gegend, in der es bis heute Räuber gibt. Ich trinke natürlich gerne Schnaps: Cachaça. Besonders jetzt, im Winter, wo es kalt ist. Möchten Sie einen?

Tadeu Souza (48) verliess vor dreissig Jahren seine Heimat Bahia im armen Nordosten Brasiliens und ging nach São Paulo. Hier arbeitete er als Metallarbeiter und Bäcker, bevor er seine kleine Bar eröffnete. Sie liegt in Blickweite der Arena Corinthians, eines der zwölf WM-Stadien.