Unbediente Bahnhöfe: Wenn die SBB auch noch den letzten Franken wollen

Nr. 14 –

Noch in knapp einem Drittel aller Bahnhöfe bieten die SBB Billette und Beratung am Schalter. An manchen kleinen, von den SBB längst aufgegebenen Bahnhöfen haben Private diese Aufgabe übernommen. Jetzt stellen zwei private Verkaufsstellen ihren Betrieb ein. Und machen dafür die SBB verantwortlich.

Ueli Pfister mit KollegInnen von der Interessengemeinschaft Stationshalter im Verkehrsladen Tecknau: «Wir fallen bei den neoliberal ausgerichteten SBB-Strategen immer mehr in Ungnade.»

Ueli Pfister macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. Der Betreiber des Verkehrsladens Tecknau in der 800-Seelen-Gemeinde in Baselland schliesst Ende März seine Verkaufsstelle. Die Verantwortung dafür sieht er vor allem bei den SBB. Pfisters SBB-Agentur ist seit 25 Jahren Billettverkaufsstelle und Reisebüro.

Lange war es ein auskömmliches Geschäft, auch wegen der Kundennähe, die Pfister und seine beiden Angestellten pflegten. Als er 1991 eingestiegen sei, sei er belächelt worden, aber das Geschäft florierte. «Wir haben sehr treue Kunden, einer lebt in Toronto, für ihn planten wir jedes Jahr eine Tournee durch Europa. Bei den SBB ist ja häufig die Haltung spürbar, dass Kunden Störenfriede sind.» Ausserdem habe die bediente Station zu einer lebendigen Dorfkultur beigetragen, zumal in Tecknau auch die Poststelle geschlossen worden sei.

«Knallharte» SBB

Inzwischen rechnet sich das Geschäft nicht mehr. Pfister gibt auf. Dafür nennt er folgende Gründe: Die SBB haben 2011 den privaten StationshalterInnen einen neuen Vertrag aufgezwungen. Seither erhalten sie für den Verkauf eines Generalabonnements statt einer Provision von 460 Franken bloss noch eine Gebühr von 50 Franken; bei den anderen Billettverkäufen fällt seither die Provision um fünfzig Prozent tiefer aus; ausserdem hat sich das Geschäft mit den Billetten radikal gewandelt: Drei von vier BahnkundInnen ordern online, via Handy oder am Billettautomaten.

Ueli Pfister ist nicht der Einzige, der aufgibt. Martin Frischknecht, der Betreiber des Vorortbahnhofs St. Gallen Bruggen, streicht auf Ende März ebenfalls die Segel. Der erfahrene Reiseprofi führt künftig sein Reisebüro andernorts weiter. Der Grund für diesen Schritt: Frischknecht wollte nicht mehr das gesamte Bahnhofsgebäude mieten – und als Vermieter einer Wohnung auftreten. Die SBB gingen nicht darauf ein. Frischknecht sagt gegenüber der WOZ, was auch andere Stationshalter bestätigen: «Die Kundenfrequenz hat wegen der Billettautomaten und des Onlinegeschäfts abgenommen; auch im Reisebereich nehmen die Beratungen ab. Uns bleiben dann oft nur noch die schwierigen, zeitaufwendigen Fälle. Zusammen mit den verschlechterten Vertragsbedingungen ist das Billettgeschäft nicht mehr rentabel.» Die SBB seien in den Verhandlungen knallhart, verlangten immer höhere Mieten, pressten den letzten Franken heraus und böten dafür nichts.

Nach der Vertragsverschlechterung hatten sich 2013 zehn von vierzehn privaten BetreiberInnen zur Interessengemeinschaft Stationshalter zusammengeschlossen, um ihre Verhandlungsposition zu stärken. Daneben haben die SBB weitere Agenturpartner – Migrolino, Post, Avec und Migrol. Präsident der Interessengemeinschaft Stationshalter ist der St. Galler CVP-Nationalrat Jakob Büchler. Er lebt auf dem Land, im sankt-gallischen Schänis. «Es kann nicht sein, dass in ländlichen Gebieten die Versorgung und Beratung mehr und mehr wegfällt. Dafür setzen wir uns ein, auch nach der Aufgabe der beiden Betriebe in Tecknau und Bruggen.»

Unbediente Stationen benachteiligten mitunter SBB-KundInnen, sagt Jakob Büchler. Er erzählt ein Beispiel aus seiner Familie: Seine Frau musste mit dem Zug dringend an einen Termin, der Billettautomat war defekt, also bestieg sie den Zug trotzdem und erklärte sich dem Kontrolleur. Es nützte nichts. Sie musste die Busse bezahlen. «Wir machen auf jeden Fall weiter und hoffen, dass wir neue Mitglieder gewinnen. Allerdings ist es selbst dann nicht einfach, denn unsere Betriebe funktionieren nicht alle gleich, manche bieten Beratung und Billette, andere betreiben auch noch einen Tankstellenshops vergleichbaren Laden», sagt Büchler.

Die Sicht der Bundesbahnen

SBB-Mediensprecherin Lea Meyer sagt zu der von den Stationshaltern monierten Verschlechterung der Verträge: «Die SBB und alle anderen Transportunternehmen erhalten pro verkauftes GA eine Verkaufsprovision von lediglich fünfzig Franken. Die Differenz von mehreren Hundert Franken pro Abo hat die SBB bis dahin aus der eigenen Tasche bezahlt. Wir haben daher im Jahr 2011 lediglich das Verfahren für alle Partner vereinheitlicht.» Die SBB hält aber laut Meyer an der laufenden Partnerschaft fest und wolle das Modell der Stationshalter «nicht abrupt beenden». Ausser der Provision erhalten die Stationshalter eine jährliche Präsenzpauschale. Die SBB verweist ausserdem auf den Auftrag des Bundes, das Unternehmen nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen zu führen. Ueli Pfister vom Verkehrsladen Tecknau schätzt die Lage anders ein: «Wir fallen bei den neoliberal ausgerichteten SBB-Strategen immer mehr in Ungnade und werden aufs Abstellgleis befördert. Der zunehmende Druck auf unsere Erträge schwächt uns, daher müssen wir konsequenterweise aufgeben, ehe der Konkursverwalter auf der Matte steht.»

Unlängst sagte SBB-Verwaltungsratspräsident Ulrich Gygi in einem Interview mit der «SonntagsZeitung», dass «wir die Kosten der Verkaufskanäle in den Griff bekommen müssen». Er rechne damit, dass in zehn Jahren nur noch 10 und nicht wie heute 25 Prozent aller Billette am Schalter gekauft werden. Offen liess er, wie viele Schalter schliessen und wann dieser mit Stellenverlusten verbundene Abbau beginnen soll. In den letzten fünfzehn Jahren haben die SBB bereits Tausende Stellen gestrichen – und mittlerweile wieder neue Stellen schaffen müssen. Wie viele von den aktuell rund 33 000 SBB-Arbeitsplätzen gefährdet sind, ist unklar.

Das Ziel der Bahn, neunzig Prozent der Billettverkäufe über Automaten oder digital abzuwickeln, hält Peter Moor für unrealistisch. Der Mediensprecher der Eisenbahnergewerkschaft SEV sagt: «Es ist keine neue Technologie in Sicht, die diesen Sprung ermöglichen würde. Das Potenzial der gegenwärtigen Technologie ist ausgeschöpft. Daher rechnen wir gegenwärtig nicht mit Schliessungen und einem Personalabbau.»