Gewerkschaft Basis 21: «Basisdemokratie ist das A und O»

Nr. 40 –

Ehemalige MitarbeiterInnen der Gewerkschaften Unia und Syna haben vor bald zwei Jahren eine neue Gewerkschaft gegründet: Mit der Basis 21 streben sie eine unabhängige Arbeitskampfkultur speziell von und für MigrantInnen an.

«Eine Gewerkschaft von Grund auf aufzubauen, ist kein Zuckerschleck. Dabei brennt es in diesen Zeiten der immer unübersichtlicheren Arbeitsverhältnisse überall»: Javier Artero, Mario Ricciardi und Verena Della Picca im Büro der Gewerkschaft Basis 21 in Lausen BL.

Eine Viertelstunde mit dem Zug von Olten, und schon befindet man sich, kurz vor Liestal, in Lausen BL. Hier, unweit vom Bahnhof im dritten Stock eines Geschäftshauses, arbeiten Mario Ricciardi, Verena Della Picca und Javier Artero seit bald zwei Jahren am Aufbau einer neuen Gewerkschaft: der Basis 21. Schon der Name gibt eine Ahnung davon, was ihnen vorschwebt: Basisdemokratisch, unabhängig, modern und offen soll die Gewerkschaft sein.

Ein Grund, weshalb Ricciardi und Della Picca 2013 bei der Unia kündigten und Anfang 2014 zusammen mit dem ehemaligen Syna-Funktionär Artero eine neue Gewerkschaft gründeten, waren, so die beiden, «die Methoden und Arbeitsbedingungen» bei der Grossgewerkschaft mit ihren rund 1000 MitarbeiterInnen und 200 000 Mitgliedern. Der interne Druck, so Ricciardi, habe stark zugenommen. «Die Vorgabe, als Werber für die Unia pro Tag eineinhalb neue Mitglieder zu gewinnen, ist kaum zu erfüllen.»

Das Hauptmotiv für ihren Abgang von der Unia aber, so Mario Ricciardi, sei deren in ihren Augen zunehmend «nicht mehr basisdemokratischer Charakter» gewesen. Bestimmend seien immer mehr AkademikerInnen – und damit verbunden eine Strategie, die «einseitig auf die mediale Wirkung» ausgerichtet sei.

Mehr Mut zum Streik

Pepo Hofstetter, Unia-Mediensprecher, kennt die Vorwürfe. Und weist sie entschieden zurück. Zum einen: Viele Unia-GewerkschaftssekretärInnen seien nicht akademische Berufsleute aus den Branchen, nicht wenige mit Migrationshintergrund. Zum anderen: «Wer sich erfolgreich für die Arbeitnehmer einsetzen will, muss auch die Öffentlichkeit für seine Sache gewinnen. Um Lohndumping zu bekämpfen, ist es wichtig, dass solche Fälle publik werden.» Der allergrösste Teil der Unia-Arbeit aber spiele sich nach wie vor in Betrieben, auf Baustellen oder bei der Beratung der Mitglieder ab.

Hofstetter räumt ein, dass der starke Mitgliederzuwachs der letzten Jahre Risiken mit sich bringe: «Umso mehr achten wir auf unsere basisdemokratischen Strukturen und investieren viel, um die Beteiligungsmöglichkeiten für unsere aktiven Mitglieder weiterzuentwickeln.» Als aktuelles Beispiel dafür nennt er die Abstimmungen über allfällige Kampfmassnahmen auf Baustellen in der ganzen Schweiz, falls die Baumeister die frühzeitige Pensionierung mit sechzig Jahren infrage stellen wollten: «Solche Aktionen sind ohne gute Verankerung in der Basis gar nicht möglich.»

Zum Vorwurf, der interne Druck sei untragbar geworden, meint Hofstetter: «Die Vorgabe, eineinhalb Mitglieder pro Tag anzuwerben, gilt einzig für kleine, spezialisierte Werbeteams in den Unia-Regionen. Die Erfahrung zeigt, dass dieses Ziel absolut realistisch ist.»

Anarchistisches Selbstverständnis

Wer auch immer wie sehr recht hat in diesem Konflikt und was dabei mehr einzelne persönliche Erfahrungen oder strukturell bedingte Missstände sind: Zutage treten sehr unterschiedliche Vorstellungen von Arbeitskampf und Gewerkschaftsarbeit an sich. Auf der einen Seite die Grossgewerkschaft mit ihrer strammen Organisation – auf der anderen das eher chaotische Kleinsyndikat mit Kontakten zur Anarchobewegung. Bei der Basis 21, so betont Ricciardi mehrmals, gehe es nicht darum, möglichst viele Mitglieder zu werben. Sondern darum, dass jene, die sich für eine Mitgliedschaft entschieden, von der Philosophie der Gewerkschaft auch wirklich überzeugt seien. Und dazu gehöre eine konsequente Streikkultur.

Ricciardi, der vor seiner Tätigkeit als Gewerkschaftsprofi als Gipser, Stuckateur und Maurer arbeitete, spricht aus Erfahrung: «In Basel-Stadt und Baselland hatten die Gipser und Stuckateure die besten Löhne auf dem Bau, weil wir konsequent gestreikt haben. Seit den nuller Jahren aber sind die Mindestlöhne in diesen Gesamtarbeitsverträgen nicht mehr gestiegen. Die kleinen GAVs werden nur noch der Vollzugskostenabzüge wegen verwaltet.»

Ein Beitritt der Basis 21 zum Gewerkschaftsbund sei daher kein Thema: «Wir wollen ohne die Gelder der Paritätischen Kommission auskommen, in der auch die Arbeitgeber vertreten sind. Die Folge davon ist, dass ein GAV bis zum Ende verteidigt wird, weil er die Gewerkschaftskasse füllt – selbst dann, wenn er unbefriedigend ist.»

Heisst das, die Basis 21 will gar keine GAVs abschliessen? «Nein, wir stehen zum Grundsatz der Sozialpartnerschaft», erklärt Ricciardi. So strebt die Basis 21 auch den Einsitz in GAV-Verhandlungen an, sobald das benötigte Quorum in der jeweiligen Branche erreicht wird und sie das Mandat der jeweiligen Berufsgruppen erhält. «Mit Unabhängigkeit meinen wir», so Ricciardi, «dass eine Gewerkschaft nicht erpressbar sein darf.» Nun sei es aber üblich, dass die Gewerkschaften x Millionen Franken von den Paritätischen Kommissionen erhielten – Gewerkschaftssekretäre bekommen zusätzlich zu ihrem Lohn bis zu 8000 Franken im Jahr. «Im Übrigen», so Ricciardi, «sollten auch Gewerkschaftsmitglieder keine Rückerstattung des Vollzugskostenabzugs erhalten. Wenn eine Gewerkschaft Mitglieder mit Gelder ködern muss, ist das mehr als heikel. Die Basis 21 finanziert sich deshalb allein durch Mitgliederbeiträge.»

In der Unia-Zentrale in Bern verwahrt man sich auch gegen diesen Vorwurf: «Die Unia bekommt nicht einfach Geld von den Paritätischen Kommissionen», sagt Hofstetter. «Es werden nach einem klaren Verfahren Dienstleistungen abgegolten, die die Gewerkschaft erbringt, um einen GAV auch durchzusetzen: Information der Arbeitenden über ihre Rechte, Kontrolle der Einhaltung der Verträge durch die Arbeitgeber, Branchenlösungen für die Arbeitssicherheit, Weiterbildung und vieles mehr. Davon profitieren nicht nur Gewerkschaftsmitglieder, sondern alle, die einem GAV unterstehen.» Falsch, so Hofstetter, sei auch der Vorwurf der Erpressbarkeit – und verweist auf die aktuelle Auseinandersetzung im Bauhauptgewerbe, wo der Landesmantelvertrag Ende Jahr ausläuft.

«Kein Zuckerschleck»

Auch im Büro der Basis 21 sind an diesem Nachmittag die Vorboten eines heissen Herbstes zu spüren: produktive Unruhe. Ricciardi, der interimistische Präsident, wühlt in Aktenbergen; Della Picca, derzeit Aktuarin und Sekretärin, gestikuliert am Telefon –, und Artero, Kopräsident und zurzeit der Mann an der Front, kommt gerade von einer Baustelle.

Bald zwei Jahre gibt es die Basis 21. Und doch kommen Ricciardi und Della Picca vor lauter Büroarbeit noch immer kaum dazu, selber zu den Leuten zu gehen. «Eine Gewerkschaft von Grund auf aufzubauen, ist kein Zuckerschleck», sagt Ricciardi. «Dabei brennt es in diesen Zeiten der immer unübersichtlicheren Arbeitsverhältnisse überall – bei den Temporärangestellten, auf dem Bau, in der Gastronomie, der Reinigung und der Pflege.»

Javier Artero versteht die Basis 21 daher zunächst vor allem «als Gewerkschaft, bei der die individuelle Nothilfe, Hilfe zur Selbsthilfe und Beratung im Vordergrund stehen». Es gehe zunächst darum, «in Einzelfällen das Feuer zu löschen» – auch bei Neumitgliedern, von denen fast alle MigrantInnen sind. «Das Problem der meisten ist ja: Sie bewegen sich in einem rechtlichen Rahmen, von dem sie kaum eine Ahnung haben.»

Trotz all der Widrigkeiten sind die drei GründerInnen zuversichtlich: «Bis vor einem Jahr waren wir eine Gruppierung, heute sind wir mit über 700 zahlenden Mitgliedern auf dem Weg zur zweitgrössten interprofessionellen Gewerkschaft in der Nordwestschweiz», sagt Della Picca. «Und in fünf Jahren wollen wir in allen grösseren Städten der Deutschschweiz ein Sekretariat eröffnen. Erst gerade im Mai trafen wir uns in Bellinzona mit kleinen und mittelgrossen Gewerkschaften aus der ganzen Schweiz und diskutierten eine engere Zusammenarbeit, um auch auf nationaler Ebene stärker Druck machen zu können.»

Angesichts des derzeitigen Jahresbudgets von 135 000 Franken, das je zur Hälfte für die Infrastruktur und die Rechtsschutzversicherungen gebraucht wird, ist das ambitioniert. Zumal sich die drei Vollprofis bislang gar keine Löhne bezahlen können. «Die von uns vorfinanzierten Aufbaukosten von rund 230 000 Franken», so Ricciardi, «müssen innert fünf Jahren an uns zurückbezahlt werden.»

Wobei sich die Gewerkschaft speziell für Mitglieder mit Familie als attraktiv erweisen könnte: Bei der Basis 21 hat mit dem Jahresbeitrag eines Mitglieds (250 Franken ohne, 350 Franken mit Rechtsschutz) die ganze Familie Anspruch auf Rechtsberatungen in Arbeits- und Sozialversicherungsfragen, Lohnabrechnungskontrollen, Nachforschungen bei der AHV und den Pensionskassen sowie die Unterstützung bei Lohnnachforderungen bis fünf Jahre zurück.

Bald tausend Mitglieder

Zusammen mit allen Familienmitgliedern zählt die Basis 21 derzeit knapp tausend Mitglieder. Erste Erfolge hat die Gewerkschaft bereits erzielt: arbeitsrechtliche Verbesserungen für Care-MigrantInnen zum Beispiel oder eine Witwenrente für eine Frau in Italien. Bislang, so Ricciardi, «haben wir rund 800 000 Franken für unsere Mitglieder herausgeholt. Auf Betriebsebene konnten wir eine Baufirma dazu bringen, rund 80 000 Franken an ihre Mitarbeiter zurückzubezahlen.»

Ricciardi schaut auf die Uhr. «Die Zeit rast», sagt er und packt diverse Aktenbündel in seine Mappe. 140 offene Rechtsfälle allein in Sachen Lohndumping seien derzeit in Arbeit. «Und dann», so Ricciardi, «sind wir auch noch daran, einen Riesenskandal im Pflegebereich aufzudecken.»

Im Türrahmen sagt er: «Sobald das 1000. Mitglied Tatsache ist, werden wir unsere Mitglieder nochmals über alles abstimmen lassen.» Della Picca nickt: «Basisdemokratie ist das A und O. Je mehr die Arbeitgeber merken, dass die Arbeiter selber für ihre Rechte einstehen, desto ernster nehmen sie deren Forderungen.»

99 Prozent aller Basis-21-Mitglieder sind übrigens MigrantInnen.