In eigener Sache: Freispruch für WOZ-Redaktor

Nr. 4 –

Lei gegen Hanimann: Ein wegweisendes Urteil zum Umgang mit sozialen Medien.

Als Einzelrichter Thomas Fleischer das Urteil verkündete, setzte er zu einer Grundsatzrede an: «Mit diesem Urteil betreten wir juristisches Neuland.» SVP-Politiker Hermann Lei hatte WOZ-Journalist Carlos Hanimann angezeigt, weil dieser einen Tweet eines anonymen Users retweetet hatte. Darin wurde Lei als «Hermann ‹Dölf› Lei» bezeichnet. Der Ankläger fühlte sich deswegen in die Nähe des Nationalsozialismus gerückt.

Die Frage, die das Zürcher Bezirksgericht am Dienstag zu klären hatte: Ist das kommentarlose Weiterleiten eines allenfalls strafbaren Tweets zu sanktionieren? Thomas Fleischer betonte, er wolle ein modernes Urteil fällen, doch müsse er historisch ausholen: Vor siebzig Jahren wurden im Strafgesetzbuch Delikte geregelt, die mit dem Mittel der Druckerpresse begangen werden. Demnach kann nur der Autor einer Nachricht, nicht aber ihr Bote verurteilt werden. Bei einer Zeitung könnte also der Journalist, nicht aber der Drucker oder der Briefträger belangt werden. Im Netz würden die gleichen Gesetze gelten. Auch Twitter sei ein Medium: «Retweeten gehört zur medientypischen Verbreitungskette.»

Hanimann wurde deshalb vom Vorwurf der Verleumdung oder üblen Nachrede freigesprochen. Retweets sollen im Strafrecht, wo der Ehrbegriff enger gefasst ist als im Zivilrecht, nicht verfolgt werden können. Zivilrechtlich wertete der Richter den Tweet aber als persönlichkeitsverletzend. Hanimann ist deshalb verpflichtet, folgenden Text zu vertwittern: «Bezirksgericht Zürich: Retweet von ‹Hermann ,Dölf’ Lei› nicht strafbar, aber persönlichkeitsverletzend. Urteilnummer GG 150 250.»

Auf eine Entschädigung von 1500 Franken (einen Franken pro Hanimann-Follower) muss Lei verzichten, weil mit Klagen gegen Tweets kein Geschäft gemacht werden soll. Hanimann erhält vom Staat 5400 Franken Prozessentschädigung.

«Nüt, nüt, nüt»

Nationale Bekanntheit hatte Hermann Lei beim Sturz von Nationalbankpräsident Philipp Hildebrand erlangt («Ich glaub, ich seich i d Hose»). In der WOZ machte Carlos Hanimann publik, dass Lei als Kontaktperson für die Halterin der Domain adolf-hitler.ch registriert war, und fragte nach seiner politischen Herkunft (siehe WOZ Nr. 24/2012 ).

Lei, der sich als Rechtsanwalt selbst verteidigte, ereiferte sich vor Gericht: «Nüt, nüt, nüt» liege als Beweis für eine nationalsozialistische Gesinnung vor. Hanimann bestritt, ihm je solches unterstellt zu haben. Die WOZ-Artikel seien korrekt verfasst worden, stellte der Richter fest. Anwältin Regula Bähler rief in Erinnerung, dass die Staatsanwaltschaft aufgrund einer Klage Leis gegen den Artikel keine Untersuchung eröffnet habe, weil dieser nicht ehrenrührig sei. Darauf hatte Lei eine Möglichkeit gesucht, Hanimann doch noch vor Gericht ziehen zu können. Als er den Retweet entdeckte, schrieb er einem Bekannten: «Ich glaub, jetzt hab ich den Hanimann am Wickel.»

Freies Retweeten bleibt gewährleistet

Hanimanns Anwältin Regula Bähler argumentierte, der Einschub «Dölf» im Tweet beziehe sich für alle informierten LeserInnen auf den WOZ-Artikel zur Hitler-Domain. In diesem Punkt folgte ihr der Richter nicht. Ein durchschnittlicher Medienkonsument könne vermuten, Lei werde mit Hitler in Beziehung gesetzt. Deshalb stelle er zivilrechtlich eine Persönlichkeitsverletzung fest. Darüber zeigte sich Bähler überrascht, weil ein ausdrücklicher Antrag dazu nicht auf dem Tisch lag.

Nach dem Prozess äusserte sich Anwältin Bähler «sehr zufrieden über den Freispruch». Das Urteil sei medienpolitisch von hoher Relevanz, weil damit das freie Retweeten grundsätzlich gewährleistet bleibe. Es dürfte aber zu reden geben, weil es – je nach Begründung – allenfalls auch die Weiterverbreitung diskriminierender Inhalte legitimiert. Hermann Lei gab im «Echo der Zeit» bekannt, dass er das Urteil nicht weiterziehe.