Durch den Monat mit Tamara Funiciello (Teil 1): Warum sorgt die Juso nicht hier für mehr Trubel?

Nr. 27 –

Die neue Juso-Präsidentin Tamara Funiciello über ihren Wunsch, ein Stachel im Arsch der SP zu sein, ihre italienische Art der Kommunikation und Turbulenzen innerhalb der Juso.

Tamara Funiciello: «In der Schweiz herrscht nicht die gleiche Protestkultur wie in Frankreich oder Italien, das ist nicht von der Hand zu weisen.» Foto: Ursula Häne

WOZ: Tamara Funiciello, Sie sind frischgebackene Juso-Präsidentin. An der Delegiertenversammlung der SP vorletzte Woche waren Sie vor allem mit Telefonieren beschäftigt, und das teilweise sehr vehement. Gibt es Knatsch in der Partei?
Tamara Funiciello: Nein, es ist einfach sehr viel los in der Juso. Wir haben den Wahlkampf zum Nachrichtendienstgesetzreferendum gestartet, über das wohl im September abgestimmt wird. Zudem stehen auch die Freihandelsabkommen TTIP und Tisa im Fokus – und die Abstimmung über die AHV-plus-Initiative ist auch ein grosser Brocken. Da geht natürlich auch Juso-intern viel ab, und es gibt viel zu diskutieren. Man muss dazu aber sagen: Ich diskutiere immer recht vehement. Ich bin sehr italienisch in meiner Art der Kommunikation.

So wirkt es schnell, als würden Sie streiten.
Oh ja, die Leute haben sehr schnell das Gefühl, dass ich Streit suche. Wenn sie dann aber mal wirklich Streit mit mir haben, merken sie, dass ich ganz anders reagiere. Dann werde ich nämlich ruhig. Wenn ich derzeit öfter laut werde, liegt das also nicht an internem Knatsch, sondern daran, dass wir uns in einer sehr schwierigen Zeit befinden.

Brexit, Flüchtlingsdrama, Rechtsrutsch …
Ganz Europa ist derzeit in Bewegung. Es läuft extrem viel auf internationaler Ebene. Denken Sie nur mal an die Kämpfe um die Arbeitsmarktreform in Frankreich. All das wühlt auch die Juso auf. Kommt hinzu, dass wir in den letzten Jahren stark gewachsen sind – auch das sorgt für Turbulenzen. Wir müssen uns nun fragen, wohin wir wollen, wie wir uns organisieren, an welchen Strukturen wir festhalten, was wir ändern müssen.

Sie sprechen die Unruhen in Frankreich an. Kaum im Amt, sind Sie mit einer Kontroverse um Ihren Parteikollegen Alain Roth konfrontiert. Die SP Langenthal will ihn von der Wahlliste für den Gemeinderat streichen, weil er vermummt an den Protesten in Paris teilgenommen hat, wo er von einer Tränengaspetarde schwer verletzt wurde.
Was soll ich dazu noch sagen? Mich macht die Haltung der SP Langenthal wütend. Alain Roth hat sich mit der Protestbewegung in Frankreich solidarisiert, so wie ganz viele andere Juso auch. Wir sind eine internationalistische Bewegung. Dass wir uns auch mit Arbeitskämpfen in anderen Ländern solidarisch zeigen, finde ich daher nicht nur legitim, sondern essenziell. Dazu kommt: Gegen Alain Roth gibt es in Frankreich keine Ermittlungen, stattdessen hat die Polizei interne Untersuchungen eröffnet. Die mediale Hetzjagd ist das eine. Dass auch parteiintern auf Alain Roth eingedroschen wird, ist unnötig und unsolidarisch. Offenbar muss man sich als Demoteilnehmer nicht nur vor der Reaktion der Öffentlichkeit oder des Arbeitgebers schützen, sondern auch vor der eigenen Partei.

Waren Sie auch in Paris?
Nein, ich war bisher nicht dort. Leider! Ich war mit Wahlkampf beschäftigt. Aber vielleicht ergibt sich ja noch eine Möglichkeit.

Sie sprechen von Solidarität. Man könnte auch sagen: Krawalltourismus! Warum sorgt die Juso nicht hier für mehr Trubel?
Das machen wir doch!

Mit Standaktionen?
Die Juso ist sehr oft auf der Strasse. Die Berner Sektion etwa ist sehr aktiv, wenn es um Freiräume wie die Reitschule geht. Auch bei der grossen Demo, die im Oktober gegen TTIP und Tisa stattfinden soll, ist die Juso federführend. Aber klar, es könnte noch mehr sein. In der Schweiz herrscht nicht die gleiche Protestkultur wie in Frankreich oder Italien, das ist nicht von der Hand zu weisen. Ich wünschte mir natürlich, dass sich das ein Stück weit ändert – aber das ist bei der derzeitigen politischen Grosswetterlage nicht ganz einfach.

Nach Ihrer Wahl zur Juso-Präsidentin haben Sie gesagt, die Jungsozialisten müssten der «Stachel im Arsch der SP» sein. Wie soll sich dieser Stachel anfühlen?
Gute Frage. Zuerst mal: Ich finde, dass Fabian Molina als Juso-Präsident einen sehr guten Job gemacht hat. Er war sehr präsent und hat vieles lanciert. Ich habe eine etwas andere Agenda, will neue Schwerpunkte setzen und vor allem thematisch ein Stachel im Arsch der SP sein.

Was heisst das konkret?
Die Migrationsfrage wurde von der internationalen Linken zu sehr vernachlässigt. Man schafft es nicht, eine internationalistische, klassenkämpferische Antwort zu geben, sondern nur nationale Antworten – und die stimmen nicht mit unseren linken Ansichten überein. Das müssen wir unbedingt stärker thematisieren, damit wir aus der Defensive kommen. Und wir müssen wieder mehr über feministische Themen sprechen. Frauen sind immer noch ganz anderen Phänomenen ausgesetzt als die «Herren der Schöpfung», besonders wenn sie sich exponieren. Das zeigt sich etwa an der Qualität und Quantität von Äusserungen über das Aussehen von Frauen oder an der Bewertung ihres Sexuallebens. Fabian Molina ist abgetreten mit der Aussage, er sei wohl die meistgehasste Person der Schweiz. Als Frau an der Spitze der Juso bin ich potenziell noch grösseren Anfeindungen ausgesetzt. Einschüchtern lasse ich mich davon aber nicht.

Tamara Funiciello (26) verbringt ihre Freizeit am liebsten in der Roten Fabrik und in der Aare. Wenn man ihrer Berner Heimatstadt Langeweile vorwirft, widerspricht sie vehement.