Kommentar zum neusten Atomwaffentest in Nordkorea: Nordkoreas Führer ist nicht alleine schuld

Nr. 37 –

Nach den Atomwaffentests in Nordkorea reagieren die USA und ostasiatische Länder mit Gegendrohungen. Dabei brächte nur die Rückkehr zu einer fast vergessenen Deeskalationsstrategie eine Lösung.

Nach Pjöngjangs jüngstem Atomwaffentest ist die Lage auf der koreanischen Halbinsel und in der Nachbarregion so angespannt wie nie mehr seit dem Koreakrieg von 1950. Die USA liessen Anfang der Woche mit Atombomben bestückbare B-1-Jets über die Halbinsel fliegen, die ostasiatischen Nachbarstaaten reagierten mit Gegendrohungen. Zumindest westliche ExpertInnen schätzen, dass Nordkorea bis Ende 2016 ausreichend Kernbrennstoff für rund zwanzig Atombomben zur Verfügung haben könnte. Demnach könnte die Regierung jedes Jahr bis zu sieben neue Bomben produzieren und wohl 2025 dazu fähig sein, mit atomar bestückten Raketen nicht nur Südkorea und Japan zu erreichen, sondern sogar das Territorium der USA.

Hauptverantwortlich für die Eskalation ist ohne Frage das Regime in Pjöngjang. Seit 2003 hat es sein militärisches Nuklearprogramm unter Verstoss gegen den 1985 unterzeichneten Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen (NPT) ebenso stetig vorangetrieben wie die seit 2006 vom Uno-Sicherheitsrat untersagte Entwicklung ballistischer Raketen. Doch dass es überhaupt so weit kommen konnte, ist – ähnlich wie die verheerende heutige Lage im Irak und in Afghanistan – auch eine Folge der US-amerikanischen Politik unter Präsident George W. Bush zu Beginn dieses Jahrtausends.

Ganz anders war das noch während der Präsidentschaft von Bill Clinton: 1994 hatten die beiden Länder in Genf ein Abkommen geschlossen, mit dem das militärische Atomprogramm Nordkoreas verlässlich beendet und das Land der uneingeschränkten Kontrolle durch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) unterstellt wurde. Im Gegenzug erhielt die Führung in Pjöngjang Zugang zu Nahrungsmitteln, Öl und Leichtwasserreaktoren zur Energiegewinnung. Entscheidend für den Durchbruch in Genf vor 22 Jahren war allerdings ein zunächst geheim gehaltener Annex zum Abkommen. Darin gab die Clinton-Regierung Nordkorea eine Nichtangriffsgarantie. Unter dieser Rahmenbedingung wurde auch die als «Sonnenscheinpolitik» bekannte Wiederannäherung der beiden koreanischen Staaten möglich.

Erst als die Bush-Regierung die Nichtangriffsgarantie Anfang 2002 aufkündigte, Nordkorea gemeinsam mit dem Irak und Iran zur «Achse des Bösen» erklärte und das Recht zu «präventiven Militärschlägen» selbst mit Atomwaffen reklamierte, suspendierte Pjöngjang die Mitgliedschaft im NPT-Vertrag und nahm das militärische Nuklearprogramm wieder auf.

Daran haben sämtliche Sanktionen nichts geändert, die der Uno-Sicherheitsrat inzwischen verhängt hat – und die seit dem vierten Atomwaffentest im vergangenen Januar selbst durch China ausdrücklich mitgetragen werden. Auch eine weitere Verschärfung der Sanktionen, wie sie jetzt vor allem in Washington, Seoul und Tokio gefordert werden, dürfte die Führung kaum beeindrucken. Sie würden – wie die bisherigen Sanktionen oder diejenigen gegen den Irak in den neunziger Jahren – nicht das Regime, sondern die not- und hungerleidende Bevölkerung treffen. Die Regierungen in Beijing und Moskau kritisieren dies zu Recht.

Derweil fordert nun Pjöngjang die Anerkennung Nordkoreas als Atomwaffenstaat. Dies ist aber auch keine geeignete Deeskalationsstrategie – genauso wenig, wie das im jahrelangen, inzwischen durch ein Abkommen beigelegten Streit um das iranische Nuklearprogramm der Fall gewesen wäre. Eine solche Anerkennung mag auf den ersten Blick vielleicht gerechtfertigt erscheinen, da die fünf offiziellen Atomwaffenmächte unter Verstoss gegen ihre NPT-Verpflichtungen weiterhin die Verschrottung ihrer Arsenale verweigern und da mit Israel, Indien und Pakistan inzwischen drei inoffizielle Atomwaffenstaaten hinzugekommen sind.

Doch jeder zusätzliche Atomwaffenstaat, in welcher Weltregion auch immer, würde die Sicherheit und Stabilität nicht fördern, sondern verringern. Das gilt auch mit Blick auf die jetzt in Seoul laut gewordenen Forderungen nach eigenen Atomwaffen. Und die in Washington erwogene Neustationierung der 1991 aus Südkorea abgezogenen taktischen US-Atomraketen oder eine Verlagerung nuklear bestückter U-Boote der USA in südkoreanische Häfen würde Pjöngjang nur zur Rechtfertigung weiterer eigener Eskalationsschritte dienen – und zudem die Spannungen zwischen den USA und China erheblich erhöhen.

Eine Chance zur Beendigung des nordkoreanischen Waffenprogramms und damit zur Deeskalation in der Region gibt es nur bei einer Rückkehr zum 1994 von der Clinton-Regierung gewählten Ansatz. Langfristig ist auch nur so wieder an eine innerstaatliche Liberalisierung Nordkoreas zu denken.