Durch den Monat mit Laura Flanders (Teil 1): Sind die US-Medien zu brav?

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Die Journalistin Laura Flanders hofft, dass die US-Medien nach der Wahl von Donald Trump von ihrer Hofberichterstattung abrücken. Und zeigt sich beeindruckt vom Widerstand junger Leute im Siouxreservat Standing Rock.

Laura Flanders: «Der Job von uns linken Medienschaffenden bleibt der Gleiche: Wir müssen die Mächtigen zur Rechenschaft ziehen.»

WOZ: Laura Flanders, Sie sind zurzeit in London, wo Sie geboren und aufgewachsen sind. Was sagt man in ihrer alten Heimat über die Wahl von Donald Trump?
Laura Flanders: Ich komme gerade von einem Besuch bei meiner ehemaligen Geschichtslehrerin zurück, einer linksradikal denkenden US-Amerikanerin. Sie war in der demagogischen McCarthy-Ära nach England geflüchtet, und Donald Trumps Aufstieg traf sie besonders hart. Sie fragte mich immer wieder: «Was werdet ihr tun?»

Und, was werden Sie als unabhängige Medienschaffende tun angesichts eines Präsidenten, der Journalistinnen und Journalisten für Dummköpfe hält, nichts auf Fakten gibt und kritischen Publikationen mit Prozessen droht?
Das Hauptproblem der US-Medien in den letzten Jahrzehnten war nicht die Distanz zwischen Regierung und Presse, sondern die allzu grosse Nähe und Vertrautheit. Zu viele Medienschaffende bewegten sich im Dunstkreis der Macht. Wenn jetzt ein Präsident kommt und sagt: «Ihr seid mir egal. Ich brauche euch nicht und verspreche euch nichts», dann sehe ich das eher als positiv.

Ein abruptes Ende der Hofberichterstattung?
Unter George W. Bush und Barack Obama haben viele Mainstreammedien brav die Regierungslinie vertreten und zum Beispiel die eigene Berichterstattung über die Folter in Abu Ghraib zensiert. Die «New York Times» hielt den NSA-Überwachungsskandal auf Wunsch der Regierung ein ganzes Jahr lang unter dem Deckel. Doch jetzt, nach der Wahl von Trump, spielt sich die Zeitung als grosse Heldin der Meinungsfreiheit auf. Wir linken unabhängigen Medienschaffenden waren immer schon «draussen» und nicht Teil der Regierung. Unser Job bleibt der Gleiche: Wir müssen die Mächtigen zur Rechenschaft ziehen. Mehr denn je brauchen die Leute heute unabhängige Medien.

Ist dies ein guter Zeitpunkt, um mehr Menschen zu erreichen und nicht bloss der eigenen Gemeinde zu predigen?
Wenn wir unabhängigen Journalistinnen und Journalisten unsere Arbeit richtig tun, können wir auch einen Teil der Trump-Wählerschaft ansprechen. Leute wie die Familie meiner Partnerin. Ihre Schwester ist Metallarbeiterin in Michigan, deren Mann kämpfte im Koreakrieg und trägt eine Beinprothese. Beide wählten bisher demokratisch. Doch diesmal gaben sie ihre Stimme Trump, weil sie glaubten, er werde mehr für die Kriegsveteranen tun.

Wenn wir Linken den berechtigten Ärger über den Zustand der Infrastruktur und des Service public ernst nehmen und Verbesserungen vorschlagen und fordern, finden wir bestimmt neue Verbündete. Ausserdem finde ich es auch nötig und wichtig, dem eigenen Chor zu predigen, denn es ist eine ganze Weile her, seit wir auf der Linken einen stimmigen Chor hatten. Wir müssen eine alternative Perspektive entwickeln, die nicht Klasse gegen Hautfarbe, Geschlecht und Sexualität setzt, sondern diese Begriffe zusammendenkt. Dann können wir verstehen, wie der Kapitalismus in den USA heute funktioniert, statt linke Flügelkämpfe auszufechten.

Interessiert das die Jungen? Meine eigenen erwachsenen Kinder stehen eher auf Comedyshows wie «Saturday Night Live». Satire und soziale Medien sind die politischen Medien ihrer Wahl.
Ich habe selber angefangen, mir «Saturday Night Live» anzusehen, zum ersten Mal seit vielen Jahren. Es ist wichtig, lachen zu können, wenn man gleichzeitig grosse Angst hat. Ich sehe aber auch junge Leute, die ganz ernsthafte Videos produzieren über das, was in ihrem Leben und in ihrer Umgebung passiert. Besonders beeindruckt hat mich das grosse Interesse von jungen Menschen am Protest gegen die Erdölleitung im Siouxreservat Standing Rock. Dieser Widerstand stellte eine Spiritualität und Empfindsamkeit in den Mittelpunkt, wie ich das in unseren Bewegungen seit sehr langer Zeit nicht mehr gesehen habe. Viele kamen vom Protestcamp zurück und sagten, trotz Tränengas, Kälte, Körperdurchsuchungen und Verhaftungen hätten sie sich im Standing-Rock-Camp besser gefühlt als daheim im Alltag.

Wir brauchen Humor, um die Leute zu berühren. Doch wir müssen auch über das Leben im bald postneoliberalen Kapitalismus sprechen. Darüber, wieso so viele Leute in diesem System kein Auskommen haben. Was wir diesen Herbst gelernt haben, ist, dass Sarkasmus und Verunglimpfungen allein nichts bringen.

Wir Medienschaffenden sollen uns also nicht zu sehr in Trumps Realityshow verbeissen?
Wir haben keine Wahl. Wir müssen protestieren wie verrückt. Doch wir müssen dringend auch lebenswichtige Alternativen aufbauen, denn Trump wird es nicht tun. Wir alle werden unter seiner rechtsextremen Regierung viel Widerstandsfähigkeit, Ausdauer und Stärke, aber auch Schutz und gegenseitige Hilfe brauchen. Das gibt uns die Chance, Institutionen zu schaffen und zu stärken, die wir im 21. Jahrhundert in unserem Leben haben wollen. Als ich 1981 von London in die USA auswanderte, begann mit Ronald Reagan der Aufstieg des Neoliberalismus, der jetzt zu Ende geht. Das ist ein spannender Moment. Auch für die Linke.

Die Britin Laura Flanders (55) kam als junge Frau in die USA und baute sich dort eine beeindruckende Karriere als unabhängige Medienschaffende auf. «Jetzt mehr denn je», kommentierte die linke Journalistin die Wahl von Donald Trump in ihrer wöchentlichen «Laura Flanders Show» (www.lauraflanders.com). Sie lebt mit ihrer Partnerin in Manhattan, New York.