Dora Koster (1939–2017): Furios und masslos

Nr. 49 –

Dora Koster sprengte Grenzen, des Masses, der Wohlanständigkeit. Sie war im Zürcher Niederdorf unübersehbar und unüberhörbar. Zuerst an der Froschaugasse, dann am Rindermarkt und am Zähringerplatz hat sie das kulturelle Klima der Stadt befördert, war mit dem Neumarkt-Theater verbunden. Und hat zugleich in diesem Biotop als informelle Sozialarbeiterin gewirkt.

Um zu erklären, wer Dora Koster war, muss man erwähnen, dass sie sechzehn Jahre lang als Prostituierte gearbeitet hat, und es war ihr ein böser Stachel, wenn dies immer wieder erwähnt wurde. Aber die Vorgeschichte steht am Beginn ihrer literarischen Karriere: Der autobiografische Bericht «Nichts geht mehr» wurde im Zeichen «authentischer» randständiger Literatur 1980 ein Grosserfolg und ermutigte sie weiterzuschreiben. Seither hat sie pausenlos geschrieben. Sie arbeitete nicht mehr im Milieu, blieb ihm aber im Denken und Handeln verbunden. Dem ersten Erfolg hastete sie zeitlebens hinterher. Das wurde zum zermürbenden Kampf mit dem Literaturbetrieb, der sich ein wenig mit ihr schmückte, um sie als Schriftstellerin doch nicht ganz ernst zu nehmen.

War sie denn eine Schriftstellerin? Unbedingt. Unbedingt in der Notwendigkeit, Schreiben als Überleben zu betreiben. Ihre Bilder und Aphorismen werfen grandiose Blitzlichter, zertrümmern mit treffendem Witz falsche Rücksichtnahmen. Ihre Produktion war unbezähmbar; geduldig formen konnte sie ihre Kunst nicht.

Dora Koster hat es einem nicht leicht gemacht. Sie war masslos, in der Grosszügigkeit wie im Furor. Die letzten Jahre waren schwierig: gesundheitlich angeschlagen, aus sozialen Netzen gefallen, nie reichte das Geld. Eine verstörende Erinnerung, wie sie einem erklärte, sie müsse – in der reichen Schweiz – mit ein paar Kartoffeln die Tage bis zum Eintreffen der AHV überstehen. Sie überlebte vieles, eine Kugel im Kopf, Blutstürze, Infarkte. Da war ein Lebenswille, der Glaube auch an eine Verbundenheit mit der Natur, ja dem Kosmos. Jetzt ist dieser Wille erloschen.