Von oben herab: Der letzte Mensch

Nr. 5 –

Stefan Gärtner über die Huldigungen an King Roger

Sport macht bekanntlich froh und hält auch obenrum gesund, zumal die Kollegen von der Tagespresse, die sich angesichts von Roger Federers 20. Grand-Slam-Sieg nicht mehr einkriegten. «Ein Vorbild über den Sport hinaus», sang etwa René Stauffer vom «Tagi»: «In einem Zeitalter, in dem das Profitennis globaler, umkämpfter und athletischer ist als je zuvor, dominiert Federer, obwohl er im August 37-jährig wird, die Gegner wie in seinen allerbesten Zeiten», denn er «bringt eben auch im fortgeschrittenen Sportleralter noch jene Qualitäten mit, die den Kern seiner Einzigartigkeit ausmachen: Mut, Entschlossenheit, Zuversicht, Kampfkraft, Hingabe, Kreativität, Spielfreude und maximale Opferbereitschaft, um in bestmöglicher Form zu bleiben – alles in Zusammenarbeit mit seinem Team. (…) Er zeigt, was möglich ist, wenn man unbeirrt seinen Zielen nachlebt, seine Natürlichkeit bewahrt und sich selbst nicht allzu wichtig nimmt.»

Es ist ganz sinnlos, hier noch etwas herauszupräparieren; es ist bereits Klartext. Und ich mag gar nicht hinschreiben, was sie da so blindlings, ja betrunken feiern, weil ich mir nicht wie ein Selbstparodist vorkommen will, der auf alles immer nur die eine Antwort hat. Ich kann es aber auch nicht ändern; leider.

Also kein Wort über Faschismus, über den eh schweigen soll, wer vom Kapitalismus nicht reden mag; loben wir mit Byung-Chul Han lieber das «heutige Leistungssubjekt», das «mit sich selbst Krieg führt» und, ehe es mit Burn-out im Eck zu liegen kommt, Teil der «allgemeinen Positivierung der Welt» ist, in der sich «sowohl der Mensch als auch die Gesellschaft in eine autistische Leistungsmaschine» verwandelt haben. «Das Leistungssubjekt beutet sich selbst am effektivsten aus, wenn es sich für alles offen hält, wenn es eben flexibel ist. So macht es sich zum letzten Menschen.» Totale Positivität ist nun nicht bloss die fröhlich flexible Kritikferne der «Alles gut!»-Parole, die im Reich so schrecklich gängig ist, sondern bereits Gewalt, Terror, Barbarei; für Georg Seesslen und Markus Metz ist der Konkurrenzverherrlicher Sport denn auch «die grösste der Blödmaschinen» als nämlich «‹gültigstes› Gesellschaftsbild».

Denn Bangemachen gilt nicht, und wer kaputt, müde, fertig ist, kämpfe bis zur letzten Patrone: «Denn seien wir ehrlich», steckt Marco Chiudinelli in der «Aargauer Zeitung» nicht nur seinem Freund Roger die reine Wahrheit: «Zum Zeitpunkt Deiner Knieoperation vor 2 Jahren traute Dir fast niemand mehr eine Rückkehr als Grand-Slam-Champion zu. Du hättest es Dir einfach machen können und Dich mit damals 34 Jahren und 17 Grand-Slam-Titeln zur Ruhe setzen können.» Aber wir leben nun mal in einem freien Land, und so nimmt man halt «die Challenge an, welche so ein Comeback immer mit sich bringt. Anstatt Dich damals zu hinterfragen», was ja – Stichwort «Positivgesellschaft» – keine Option ist, «tanktest Du damals abseits des Tennisplatzes im Kreise Deiner Familie neue Energie und erlangtest in dieser Zeit eine bewundernswerte Lockerheit».

Denn Spass sollen wir an der Mühle ja schliesslich auch noch haben, wenn wir in aller Natürlichkeit so «zielorientiert arbeiten und leben» (Stauffer) wie das lockere Idol, dessen Tränen als Zeichen totaler Erschöpfung zu werten natürlich ausfällt. Schliesslich ist Federer «36 Jahre und kein bisschen müde» («Blick»).

Als müsste das keine Selbstverständlichkeit sein.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.