Klimaerwärmung: «Das Pariser Abkommen würde allenfalls das Schlimmste verhindern»

Nr. 32 –

Der Sommer 2018 ist extrem – weltweit. Die Klimaforscherin Sonia Seneviratne erklärt, inwiefern das Wetter der vergangenen Wochen eine Folge der Erderwärmung ist und warum die CO2-Emissionen so schnell wie möglich auf null reduziert werden müssen.

WOZ: Frau Seneviratne, seit Wochen ist es aussergewöhnlich heiss und trocken, dazu kommen verheerende Waldbrände, unter anderem in Skandinavien, Griechenland und Portugal. Lässt sich wissenschaftlich eindeutig sagen, dass das alles eine Folge des Klimawandels ist?
Sonia Seneviratne: Zuletzt hatten wir ja mehrmals so warme Sommer in Zentraleuropa, beispielsweise schon 2015. Was dieses Jahr vor allem aussergewöhnlich ist: dass es an mehreren Orten der Welt gleichzeitig so heiss ist. Sicher spielen dabei immer auch zufällige Komponenten eine Rolle, aber mit der Erderwärmung werden solche Ereignisse definitiv wahrscheinlicher.

Klimawandelleugner argumentieren aber, dass es heisse Sommer auch früher schon gab. Was würden Sie darauf erwidern?
Zunächst stimmt das ja auch: Es gab auch in der Vergangenheit schon Sommer, die extrem waren. Nur passierte das weitaus seltener, während wir nun bereits mehrere Jahre hintereinander heisse Sommer haben. Global betrachtet war die Temperatur in den letzten Jahren höher als je zuvor, das lässt sich gut belegen. Ausserdem traten extreme Sommer früher nicht gleichzeitig an so vielen Orten auf: So war etwa der Sommer 1976 in Europa auch sehr warm, allerdings ausschliesslich dort. Dieses Jahr aber ist es nicht nur in Europa extrem heiss, sondern auch etwa in Kanada oder in Japan. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es zu einer solchen Häufung kommen könnte, ohne dass dabei der Klimawandel ein wichtiger Faktor wäre.

Trotzdem haben sogenannte Klimaskeptikerinnen vermutlich so viel Öffentlichkeit wie noch nie zuvor, auch dank Leuten wie Donald Trump, der den Klimawandel für eine Verschwörungstheorie hält. Gibt es auch in der Wissenschaft Leute, die den Klimawandel bestreiten?
In der Klimaforschung ist es Konsens, dass es den Klimawandel gibt, und auch, dass dieser menschengemacht ist. Allenfalls gibt es einige wenige Skeptiker, aber diese machen nur einen verschwindend kleinen Bruchteil aus. 99 Prozent der Wissenschaftler wissen, dass der Klimawandel eine Realität ist, das ist in der Forschung überhaupt nicht umstritten. Die Skeptiker, die gelegentlich in den Medien auftreten, sind ja in der Regel auch keine Klimaforscher; das hat teilweise schon Züge einer Desinformationskampagne, und die Medien wären hier eigentlich verpflichtet, besser aufzuklären.

Was empfinden Sie, wenn jemand wie Donald Trump vor Millionenpublikum den Klimawandel bestreitet? Das muss für Sie als Wissenschaftlerin doch ein Schlag ins Gesicht sein.
Ach, Trump erzählt jeden Tag irgendwelche Lügen, und das ist nur eine weitere. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

Derzeit liest und hört man immer wieder Expertenprognosen darüber, wie stark die Temperatur in diesem Jahrhundert noch ansteigen und welche Folgen das haben wird. Wie seriös sind solche Vorhersagen? Immerhin ist das Klima doch ein extrem komplexes System.
Natürlich können wir nicht genau prognostizieren, was im Jahr 2070 sein wird. Ausserdem muss man bei diesen Szenarien sehen, dass der entscheidende Punkt immer noch ist, wie wir uns gesellschaftlich verhalten: Wir können beeinflussen, wie warm es bis zum Ende des Jahrhunderts sein wird. Deswegen sind Prognosen nicht immer hilfreich, weil sie davon ablenken, dass es entscheidend ist, wie wir gesellschaftlich auf den Klimawandel reagieren. Momentan gibt es global im Mittel bereits eine Erwärmung von etwa einem Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit. Das scheint nicht viel zu sein, aber regional bedeutet das in gewissen Jahreszeiten schon jetzt eine Erwärmung von zwei bis drei Grad – im Sommer kann das bereits viel ausmachen.

Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2015 ist es, die Erwärmung auf unter 2, im Idealfall unter 1,5 Grad zu beschränken. Gesetzt den Fall, dies gelänge: Wäre dann die Erwärmung sozusagen noch in einem vertretbaren Rahmen?
1,5 oder 2 Grad wären schon schlimm genug, das lässt sich jetzt bereits beobachten. Momentan haben wir wie gesagt eine Erwärmung von einem Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter – und man muss sich klarmachen, dass zwei Grad das Doppelte der bisherigen Erwärmung bedeuten würden, was entsprechend schwerwiegende Konsequenzen hätte. Die Realisierung des Pariser Abkommens würde allenfalls das Schlimmste vermeiden.

Wenn Sie sagen, dass Sie skeptisch gegenüber Prognosen sind, weil es ja vor allem auf unsere politischen Entscheidungen ankommt, dann heisst das doch zumindest, dass es noch nicht zu spät ist, um zu handeln, oder?
Die Erderwärmung ist bereits jetzt eine Realität, das steht ausser Frage. Den Anstieg um ein Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit können wir auch unmöglich rückgängig machen, weil die CO-Moleküle im Durchschnitt mehr als tausend Jahre in der Atmosphäre bleiben, wenn sie erst einmal dort sind. Die Erwärmung auf 1,5 oder 2 Grad zu limitieren, wird zwar sehr schwierig, aber unmöglich ist das nicht. Dafür müsste sich aber die Gesellschaft wirklich drastisch verändern, weil wir momentan viel zu viele Emissionen produzieren. Diese sind wiederum an die bestehende Infrastruktur gebunden – und die lässt sich wohl kaum von einem Tag auf den anderen einfach umwälzen. Rein physikalisch jedoch würde es, wenn wir die Emissionen auf null reduzierten, zwar eine Erwärmung geben, aber diese würde unter 1,5 Grad bleiben. Die zentrale Schwierigkeit liegt also darin, dass unsere jetzige gesellschaftliche Infrastruktur dermassen von CO2-Emissionen, konkret etwa fossilen Brennstoffen, abhängig ist.

Wenn Sie für einen Moment in die Rolle der Politikberaterin schlüpfen: Gäbe es aus Ihrer Sicht bestimmte Massnahmen, die man sinnvollerweise sofort ergreifen könnte, beispielsweise eine drastische Erhöhung der Kerosinsteuer, um den Flugverkehr einzudämmen?
Ich tue mich schwer damit, solche Fragen zu beantworten: Ich bin keine Ökonomin und kann daher auch nicht sagen, wie man die Emissionen am besten ökonomisch steuert. Ich kann nur sagen, dass wir sie definitiv reduzieren müssen. Wenn wir den globalen Temperaturanstieg auf einem gewissen Niveau stabilisieren wollen, eben etwa auf 1,5 oder 2 Grad, müssen ab diesem Zeitpunkt die Emissionen gleich null sein. Andernfalls müssten wir Technologien entwickeln, um CO2 wieder aus der Atmosphäre entnehmen zu können – oder wir müssten aufforsten, also mehr Bäume anpflanzen. Folglich sollte man alle Mittel ergreifen, um die Emissionen zu reduzieren. Vielleicht wäre hierfür eine Steuererhöhung tatsächlich sinnvoll. Dazu kommt ja, dass die fossile Energie teilweise subventioniert ist. Womöglich liesse sich auch hier ansetzen, zumal erneuerbare Energien in den vergangenen Jahren viel rentabler geworden sind. Auf diese sollten wir in jedem Fall so viel wie möglich setzen.

Sonia Seneviratne

Die Schweizer Geophysikerin Sonia Seneviratne (44) zählt zu den international renommiertesten KlimaforscherInnen. Sie ist Professorin am Institute for Atmospheric and Climate Science der ETH Zürich.