Prost!: Die Ignoranz des Pilsfanatikers

Nr. 49 –

In der Schweiz besteht mittlerweile eine vielfältige und qualitativ hochstehende Craft-Beer-Szene. Ein kurzer Streifzug eines nicht mehr jungen Biertrinkers durch eine neue Bierwelt.

Ein Teil meiner Verwandten lebt in Nordböhmen, ein anderer im Bamberger Umland. Zu meinem grossen Glück. Ich kann mich dort mit leckerem Pilsner Bier eindecken, etwa mit dem «Svijansky Maz 11º» oder dem «Herrenpils» der Keesmann-Brauerei – untergärig gebraute Pilsner Biere mit ausgeprägtem Hopfenaroma, das für die typische bittere Note sorgt. Gerne beschwere ich mich bei den Verwandten über das Schweizer «Pfützenbier», das mir zu fad und zu süss ist.

Eine Alternative zum Schweizer Lagerbier, die in den letzten Jahren aufgekommen ist, ist das Craft Beer: handwerklich hergestellte Biersorten von unabhängigen Brauereien. Einige Freunde schwören darauf. Ich nicht. Meine spärlichen Erfahrungen mit Craft Beer waren bisher keineswegs berauschend. Stichwort: Grapefruitsaft.

Ich war deshalb nur mässig begeistert, als ich den Auftrag erhielt, Schweizer Craft Beer zu testen. Glücklicherweise lebe ich in Winterthur, einer Bierstadt mit mehreren lokalen Brauereien. Vor allem aber steht in der Altstadt der beste Bierladen der Deutschschweiz: Hako Getränke.

Im genossenschaftlich geführten Betrieb an der Steinberggasse treffe ich Stefan Schaufelberger, den hier alle «Schufi» nennen. Er ist Barkeeper in der International Beer Bar im Zürcher Kreis 5 und profunder Kenner der nationalen und internationalen Craft-Beer-Szene.

Wie Wein trinken

Aus dem riesigen Regal mit Schweizer Craft Beer fischt Schufi drei Flaschen und eine Büchse, die zusammen «einen guten Craft-Beer-Querschnitt bilden». Als Erstes öffnet er ein «Stirling» der Brauerei La Nébuleuse aus Renens. «Ein idealer Einstieg in die Craft-Beer-Welt», sagt er, «weil es von den Aromen her nicht zu komplex ist.»

Mangels sensorischer Sensibilität und Fachwortschatz kann ich nur sagen: Es schmeckt mir richtig gut. Frisch und würzig. Irgendwo ist da zwar auch ein wenig Grapefruit, aber dezent im Hintergrund. Ich checke den Alkoholgehalt: 5,3 Prozent. Auch das passt. Das nächste Bier heisst «Terroir Incognita» und stammt von der Blackwell Brewery aus Burgdorf. Auf der schlichten, textlastigen Etikette ist es als «Wild Ale» beschrieben, das «mit wilden Weinhefen vergoren und im Holzfass ausgebaut wurde».

Der Vergleich mit Wein liegt beim «Terroir Incognita» aus Produktionsgründen nahe. Wie ich im Verlauf der Degustation merke, ist der Wein aber auch fürs Trinkverhalten der bessere Bezug als mein geliebtes Pilsner. Das «schletze» ich nämlich «abe», ohne allzu gross darüber nachzudenken, was ich da trinke. Hauptsache, schön bitter und kühl. Craft Beer hingegen ist mit seinen oft vielfältigen Aromen darauf angelegt, dass man es bewusst trinkt.

Es lohnt sich, nicht nur das Tempo, sondern auch die Menge ans Weintrinken anzupassen: Das «Terroir Incognita» etwa weist sieben Volumenprozent Alkohol auf, deutlich mehr als ein herkömmliches Pils oder Lagerbier.

Vom «Terroir Incognita» bin ich nicht ganz so begeistert wie vom «Stirling». Mein pilsgewohnter Gaumen ist leicht überfordert mit den vielen fruchtigen Noten und dem etwas säuerlichen Geschmack. Im Internet gibt es Websites wie ratebeer.com oder untappd.com, auf denen KennerInnen ihre Bewertungen und Beschreibungen abgeben. Dort werden für «Terroir Incognita» die Aromen aufgeschlüsselt: saure Beeren, Balsamicoessig, Trauben, Weisswein und Holz.

Gib mir Saures!

Als drittes Bier hat Schufi das «La Saison √225» ausgewählt: ein Sour Ale der 1997 gegründeten Brasserie des Franches-Montagnes (BFM) aus Saignelégier im Jura. «Die BFM-Brauerei kann man durchaus als Mass der Dinge der Schweizer Craft-Beer-Szene bezeichnen», sagt Schufi. 2009 kürte die «New York Times» das in Eichenfässern gereifte «Abbey de Saint Bon-Chien» der BFM zum weltweit besten Bier – eine Auszeichnung, die die Schweizer Craft-Beer-Szene beflügelte.

Dem Sauerbier «La Saison √225» ist Schufi speziell zugetan. Der Begriff «Sauerbier» deckt eine grosse Bandbreite an Geschmäckern und Herstellungsmöglichkeiten ab. Gemeinsamer Nenner ist jedoch die immer vorhandene säuerliche Note. Beim «La Saison √225» ist sie recht ausgeprägt, zumindest für einen Newcomer wie mich. Sehr interessant, schiesst es mir durch den Kopf, an diesem Sauerbier muss ich dranbleiben.

Zum Schluss tischt Schufi etwas Leichtes auf: einen «Berliner Cassis» (3,5 %) der Brauerei À tue-tête in Aigle im Waadtland. Ich bin skeptisch, nicht wegen der auffällig violett-pinken Dose. Aber eine Beere als Geschmacksgrundlage eines Biers? Die Brauerei hat auch Himbeer- und Kirschbiere im Angebot. Vor Jahren hatte ich mal ein belgisches Kirschbier nach zwei Schlucken stehen gelassen. Ganz so schlimm ist das «Berliner Cassis» aber nicht. Keineswegs sogar. Es schmeckt in erster Linie nach Bier und nicht nach Fruchtsaft. Ich bin aber nicht mehr allzu aufnahmefähig: zu viel Neues, zu viel Vielfalt, zu viel alte Feindbilder weggeschlürft.

Komme, was wolle: Ein frisch gezapftes Pilsner Urquell in der Prager Bierkneipe Jelínek mit Bierkäse oder einem Schmalzbrot ist nicht zu toppen. Punkt. Aber vor meinen Verwandten werde ich mich künftig nicht mehr übers Schweizer Bier beschweren. Vielleicht bringe ich ihnen sogar schon bald welches mit.