Antifaschismus in Kroatien: Im steten rechten Gegenwind

Nr. 3 –

Seit den neunziger Jahren gelten in Kroatien rechtsextreme Einstellungen selbst in der Mitte der Gesellschaft als salonfähig. Ein Fussballklub spielt dagegen an, und eine Zeitung setzt sich zur Wehr.

«Die Frage ist, wie lange diese Leute vor unserer Redaktion stehen und nur Papier verbrennen»: Hrvo­­je Simicevic, Redaktor der Wochenzeitung «Novosti», vor einem Tito-Bild.

Die Männer tragen frisch gebügelte Hemden. Sie haben sich chic gemacht, denn sie treffen sich in der Altstadt Zagrebs, um gemeinsam Zeitungen zu verbrennen.

Ihr Anführer ist Drazen Keleminec. Zu seinem Hemd trägt er Jeans, Sakko und eine markante Brille. Der 54-Jährige ist Vorsitzender der rechtsextremen Partei A-HSP und organisiert Demos, auf denen faschistische Parolen gegrölt werden und «Tod den Serben» gefordert wird. Vor der Redaktion von «Novosti» zieht Keleminec ein Feuerzeug aus seinem Sakko und setzt die Titelseite der Wochenzeitung in Flammen. Seine Fans applaudieren. An ihren Kleidern tragen sie Verzierungen mit dem kroatischen Faschistengruss «Za dom spremni» – dem kroatischen Pendant zum deutschen «Sieg Heil» – und Abzeichen der rechtsextremen paramilitärischen HOS-Milizen.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Männer Zeitungen verbrennen. Beim ersten Mal zündete Keleminec noch eine Originalausgabe an, inzwischen fackelt er eine ausgedruckte Kopie des Titelblatts ab, um nicht noch die Auflage der Zeitung zu steigern. Es ist kein Zufall, dass sich der Mob die Wochenzeitung «Novosti» ausgesucht hat: Sie wird vom Nationalrat der serbischen Minderheit in Kroatien herausgegeben und gilt als links. Die grossen Feindbilder der kroatischen Rechten: SerbInnen und Linke.

«Antifaschist», ein Schimpfwort

Drazen Keleminec hält eine Rede, als er das brennende Titelblatt der Zeitung in die Luft streckt. Die JournalistInnen von «Novosti» nennt er «Terroristen», er gibt ihnen die Schuld an den verheerenden Waldbränden, die aufgrund der Trockenheit im Sommer 2017 weite Teile der Adriaküste verwüsteten.

An einer Wand in der «Novosti»-Redaktion hängen mehrere Bilder des ehemaligen jugoslawischen Staatschefs Josip Broz Tito und Porträts von bekannten Serben aus Kroatien. Obwohl draussen Männer stehen, die ihnen lauthals den Tod wünschen, bleiben die RedaktorInnen gelassen. «Kein Grund zur Panik, wir sind das schon gewohnt», sagt die Journalistin Ana Brakus.

«Als Organ der serbischen Minderheit werden wir von den kroatischen Nationalisten als Erzfeinde angesehen», sagt ihr Kollege Hrvoje Simicevic. «Sie hassen uns aber auch, weil wir eine linke, antifaschistische Zeitung machen. Für die kroatischen Nationalisten ist ‹Antifaschist› ein Schimpfwort.» Der 34-Jährige gehört selbst nicht zur serbischen Minderheit, er ist Kroate. «Für die Nationalisten bin ich ein Verräter», sagt Simicevic. «Das ist die einzige Gruppe, die sie noch mehr hassen als Serben.»

Anfang der neunziger Jahre zerfiel Jugoslawien. Kroatien erklärte sich für unabhängig. Viele KroatInnen sehnten sich nach einer neuen nationalen Identität, nach einer eigenen nationalen Geschichte. Fündig wurden manche beim sogenannten Unabhängigen Staat Kroatien zur Zeit des Zweiten Weltkriegs: im damaligen Satellitenstaat Nazideutschlands, den die faschistische Ustascha unter ihrem Führer Ante Pavelic regiert hatte. Hunderttausende JüdInnen, SerbInnen, Roma und Oppositionelle waren unter dem vier Jahre herrschenden Regime ermordet worden.

Knappe fünfzig Jahre später formierten sich im Kroatienkrieg der neunziger Jahre Milizen, die positiv auf die Ustascha Bezug nahmen, deren Uniformen kopierten und deren Gruss «Za dom spremni», auf Deutsch «Für die Heimat bereit», übernahmen. Die «Verteidiger des Vaterlands» wurden zu Helden stilisiert, deren faschistische Symbole fanden bis weit in die Mitte der kroatischen Gesellschaft Akzeptanz. Und nach wie vor gelten die Veteranen bei vielen KroatInnen als Helden, die nicht kritisiert gehören. So erscheint in Kroatien so einiges als normal und alltäglich, was in anderen Teilen Europas als rechtsradikal eingestuft würde.

Einen Preis für Holocaustrelativierung

Journalist Simicevic sagt, der Hass gegen «Novosti» werde nicht nur von offen Rechtsradikalen, sondern auch von der kroatischen Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic und der mächtigen katholischen Kirche geschürt. «Die Frage ist, wie lange diese Leute vor unserer Redaktion stehen und nur Papier verbrennen», sagt Simicevic. «Und wann sie anfangen, uns physisch anzugreifen.»

Grabar-Kitarovic wurde 2015 mit einer knappen Mehrheit zur kroatischen Präsidentin gewählt. Die notwendigen Stimmen erhielt sie von der radikalen Rechten, bei der sie sich seither einschmeichelt; sie zweifelt öffentlich die offizielle Zahl der Opfer an, die in den kroatischen Konzentrationslagern getötet wurden, und sie besuchte in Argentinien Ustascha-Kollaborateure, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg ihrer Strafe entzogen hatten. Als im November 2017 der Kriegsverbrecher Slobodan Praljak im Gerichtssaal in Den Haag einen Giftcocktail trank, um durch Selbstmord einer Haftstrafe zu entgehen, stellte sich die Präsidentin auf die Seite derjenigen KroatInnen, die Praljak als Helden verehren. «Das kroatische Volk wurde tief in seinem Herzen getroffen», liess sie verlauten.

«Novosti» ist bekannt für ihre investigativen Recherchen. So veröffentlichte die Zeitung etwa Fotos des ehemaligen Kultusministers Zlatko Hasanbegovic, die ihn in einer Ustascha-ähnlichen Uniform zeigten. In einer anderen Recherche entlarvten sie die Lügen eines Films, der behauptet, das Konzentrationslager Jasenovac sei gar kein Konzentrationslager gewesen. Über 80 000 Jüdinnen, Serben, Roma und Oppositionelle hatte die Ustascha in Jasenovac ermordet. Obwohl die JournalistInnen dem Regisseur Jakov Sedlar Dutzende bewusste Fälschungen nachweisen konnten, erhielt er 2018 den «Preis der Stadt Zagreb». «In manchen Ländern wird man strafrechtlich verfolgt, wenn man den Holocaust relativiert. In Kroatien bekommt man dafür einen Preis», sagt Simicevic. Auch deswegen sei «Novosti» so verhasst – weil sie die rechtsradikalen und geschichtsrevisionistischen Pfeiler der so konstruierten kroatischen Nationalidentität aufzeigt.

Faschistengruss auf der Bühne

Auch der Fussball bildet einen Pfeiler dieser Nationalidentität. Und auch er gehört in Kroatien den Rechten. Als die Nationalmannschaft nach dem verlorenen WM-Final gegen Frankreich nach Zagreb zurückkehrte, fuhr auf Wunsch des Weltfussballers Luka Modric das Idol der kroatischen Rechten mit: Marko Perkovic, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Thompson. Benannt nach dem Gewehr, das er im Kroatienkrieg benutzt hatte.

Thompson ist nicht etwa ein Musiker in der Grauzone. Dafür ist er viel zu explizit: Seine Konzerte beginnt er schon mal mit dem kroatischen Faschistengruss, auf der Bühne singt er Lieder, in denen die Opfer des Konzentrationslagers Jasenovac verhöhnt werden. 2009 verweigerte das Schweizer Bundesamt für Polizei Perkovic die Einreise in die Schweiz – auf Basis der hiesigen Antirassismusstrafnorm. Trotz allem trat Thompson bei der Abschlussfeier der Nationalmannschaft auf. Er ist nicht nur öffentlich akzeptiert – er ist der beliebteste Musiker Kroatiens.

«Der Fussball in Kroatien gehört den Rechten, und wir sind die einzige Ausnahme», sagt Robi. Er ist Anfang dreissig und trägt kurz rasierte Haare. Sein richtiger Vorname soll nicht in der Zeitung stehen, denn Robi fürchtet, bedroht zu werden. Und schon gar nicht der Nachname, der auf seine jüdischen Wurzeln hindeutet. Familienmitglieder von ihm waren in Jasenovac von der Ustascha umgebracht worden. In jenem Konzentrationslager also, dessen Opfer Thompson so gerne verhöhnt.

Als Kind war Robi bei den Spielen von Dinamo Zagreb. Die Dinamo-Ultras – die Bad Blue Boys – galten im Jugoslawien der achtziger Jahre als Avantgarde des völkischen kroatischen Nationalismus. Ihr Gedankengut weitete sich auf praktisch die gesamte kroatische Fanszene aus – bis heute sind faschistische Parolen und Grüsse weitverbreitet. Der kroatische Fussballverband unternimmt wenig dagegen. Verbandspräsident Davor Suker hat vielmehr selbst dem faschistischen Führer Ante Pavelic an dessen Grab die Ehre erwiesen.

Und doch gibt es in Kroatien eine linke Fankurve: jene des Fussballvereins NK Zagreb, der jahrelang in der höchsten kroatischen Liga mitspielte, zuletzt aber in die dritthöchste Spielklasse abstieg. Jahrelang war Robi Fan von NK Zagreb, und 2014 gründete er einen eigenen Verein – gemeinsam mit Freunden, unter denen sich auch Geflüchtete befinden. NK Zagreb 041 heisst der junge Club: 041 war die Vorwahl Zagrebs zu Zeiten Jugoslawiens. Bei NK Zagreb 041 gibt es keinen Präsidenten und keine Hierarchien. Ein Mitglied, eine Stimme – alles basisdemokratisch.

Fussball ist eine universelle Sprache

Das Auswärtsspiel gegen Mala Mlaka, ganz am südlichen Rand Zagrebs, findet bei verregnetem Herbstwetter statt. Der Fussballplatz des Gastgebers ist heruntergekommen. Der Pfosten des einen Tors steht schief. Und auf einem Holztisch am Spielfeldrand sind ein Hakenkreuz und das Zeichen der faschistischen Ustascha eingraviert. Die Stimmung ist angespannt: beim letzten Aufeinandertreffen der beiden Teams hatten die Fans von Mala Mlaka ein Banner gezeigt, auf dem «Refugees not welcome» stand. Es richtete sich nicht nur gegen Geflüchtete in Kroatien im Allgemeinen, sondern ganz gezielt auch gegen die Geflüchteten, die bei Zagreb 041 spielen.

Einer von ihnen ist Puria Javidi, der das Trikot mit der Nummer 11 trägt. Dunkle Haare, Undercut. Javidi spielt im Mittelfeld – seine Aufgabe ist es, die Tore vorzubereiten. Das Spiel wird angepfiffen. Vor drei Jahren verliess der 24-Jährige mit seiner Frau Samira den Iran, gelangte nach Traiskirchen in Niederösterreich.

Wegen des Dublin-Verfahrens musste das Paar nach einem Jahr allerdings zurück ins erste EU-Land, in dem es registriert worden war: nach Kroatien. Sie erhielten Asyl, zogen in eine kleine Wohnung im Westen von Zagreb. Ein Freund erzählte Javidi von NK Zagreb 041. Von einem Klub, der anders sei als alle anderen, offen gegenüber Geflüchteten nämlich. Dass er anfangs kein Kroatisch sprach, spielte keine Rolle. Fussball ist eine universelle Sprache.

«Ich habe mich sofort wohlgefühlt», sagt er. «Ich trainiere dreimal die Woche im Verein und habe da meine besten Freunde.» Jetzt steht Puria Javidi in Mala Mlaka einer Mannschaft gegenüber, deren Fans keine FreundInnen von Geflüchteten sind. Trotzdem sagt er: «Ich mag die Kroaten. Sie sind keine Rassisten.»

Auf dem Platz wird viel geflucht und auf den Boden gespuckt. Tatsächlich fällt auf: Die Spieler von NK Zagreb 041 beleidigen politisch korrekter als jene des anderen Teams, sie benutzen etwa keine homophoben Schimpfwörter. Das Spiel endet 4 : 3 für Mala Mlaka. Robi und Puria sind enttäuscht, sie wollen dieses Jahr endlich aufsteigen, nachdem es im Jahr zuvor nur für den dritten Tabellenplatz gereicht hatte. Robi sagt: «Die Schimpfwörter stören mich nicht. ‹Schwul›, ‹Serbe›, ‹Kommunist› – für mich sind das keine Beleidigungen.»

Es sind zwei ziemlich unterschiedliche Facetten des antifaschistischen Widerstands in Kroatien: Die RedaktorInnen von «Novosti» wollen mit der rechten Normalität brechen, indem sie den Finger in die Wunde legen und aufzeigen, wie angesehene PolitikerInnen, Moderatoren oder Musikerinnen kroatischen NazikollaborateurInnen huldigen und faschistische Ideologien normalisieren. Derweil lebt NK Zagreb 041 ganz unmittelbare antirassistische Solidarität als Sportverein für alle, die nicht weiss, katholisch und konservativ sind. In einem Land, in dem viele nur genau das tolerieren.

Kroatien, Tito und der Krieg

Während des Zweiten Weltkriegs kämpften in Kroatien kommunistische PartisanInnen gegen die deutschen und italienischen Besatzer, die faschistische Ustascha und die königstreuen Tschetniks. Als Marschall führte Josip Broz Tito die PartisanInnen an. Im Anschluss, ab 1945, regierte dieser als zunehmend autoritärer Staatschef über 35 Jahre hinweg die Föderative Republik Jugoslawien.

Als der Staat Anfang der neunziger Jahre zerfiel und sich Kroatien für unabhängig erklärte, war es vorbei mit der sozialistischen Lehre von «Brüderlichkeit und Einheit», die unter Tito mit harter Hand durchgesetzt worden war. In Kroatien bekriegten sich im Zuge des Jugoslawienkriegs KroatInnen und SerbInnen von 1991 bis 1995 gegenseitig.