Kost und Logis: Wild in alle Richtungen gekreuzt

Nr. 8 –

Bettina Dyttrich über alte Schafrassen, die gar nicht so alt sind

Das Schaf spielt in der Schweiz eine Nebenrolle. Die LandwirtInnen nehmen es nicht ganz ernst; es gilt als Hobbytier. Und viele UmweltschützerInnen mögen Schafe nicht, weil sie Alpweiden radikal abgrasen und eintönige Pflanzenbestände hinterlassen – wenn man die Herden sich selbst überlässt. Dabei sind Schafe und Ziegen nach dem Hund die ältesten Nutztiere der Menschheit und waren lange Zeit wichtiger als die Kuh. Der Agronom, Schafhalter und Fotograf Christian Gazzarin hat nun ein Lob auf das Schaf veröffentlicht: in Worten, Bildern und Rezepten.

Der Autor beschreibt die Bedeutung der Schafe im Alpenraum: Sie halten die Landschaft offen – die robusten Engadinerschafe fressen sogar die Grünerlen, die viele unternutzte Alpen überwuchern, eintönige Bestände bilden und das klimaschädliche Lachgas freisetzen. Ausserdem ermöglicht es die Schafhaltung, Lebensmittel, sprich Fleisch, in steilen Bergtälern zu produzieren, die sonst für die menschliche Ernährung nicht nutzbar wären. Gazzarin ist überzeugt: Fleisch aus solcher Bergweidehaltung zu essen, ist ethisch vertretbar.

Im Zentrum von Gazzarins Buch stehen die alpinen Schafrassen wie Engadinerschaf, Spiegelschaf oder Walliser Landschaf. Der Autor erzählt ihre Geschichte, die zeigt, dass auch solche Pro-Specie-Rara-Rassen nicht «urtümlich» sind: Im Lauf der Jahrhunderte wurde wild in alle Richtungen gekreuzt. Hier wird wieder einmal deutlich, dass eine Nutztierrasse ein Konstrukt ist. Trotzdem haben die robusten alpinen Rassen gegenüber den heute verbreiteten Fleischschafen wie dem Weissen Alpenschaf (in der Fachwelt kurz WAS genannt) klare Vorteile: In der Schafzucht der letzten hundert Jahre zählte wie in der Tierzucht generell vor allem der Ertrag. Robustheit und Fleischgeschmack waren Nebensache, Schönheit auch: Elegant ist das WAS mit seinem viereckigen Körper nun wirklich nicht, wie Vergleichsbilder im Buch zeigen.

Der Autor geht etwas gar ausführlich auf das Hin und Her der Züchtungsgeschichte ein, anderes kommt leider nur kurz vor: etwa die Herausforderung, die die Rückkehr von Wolf und Bär für die Schafhaltung bedeutet. Oder eben die Frage, wie eine Schafalp gemanagt werden muss, damit die Pflanzenwelt vielfältig bleibt – was möglich, aber ziemlich aufwendig ist. Die Fotos sind eindrücklich: Herden, die über raue Alpweiden ziehen, Schafporträts und Nahaufnahmen von Auge, Wolle oder Horn.

Im zweiten Teil des Buches stellt Gazzarin Lammrezepte vor. Wie er ehrlicherweise offenlegt, sind sie zu einem grossen Teil nach anderen Kochbüchern «adaptiert». Eine gute Auswahl, weil sich der Autor nicht auf die sogenannten Edelstücke konzentriert, sondern auf Ragout, Hackfleisch und Innereien. Ein Kochversuch – Ragout mit Dörraprikosen, zweieinhalb Stunden geschmort – zeigt: Für ein Festessen braucht es wirklich kein Filet.

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin.

Das Buch «Schafgeschichte & Lammgerichte» von Christian Gazzarin ist im Spriessbürger-Verlag erschienen.