Pop: Kawaii in Latzhosen

Nr. 16 –

Auf «Pink» folgt «Punk» – und auf das Lob der Körperbehaarung folgt feministische Kapitalismuskritik. Chai, einer vierköpfigen Band aus Nagoya, geht es auch auf ihrem zweiten Album nach dem Debüt «Pink» um die Destabilisierung vorherrschender Ideale. Denn wenn frau in Japan nicht süss ist – oder «kawaii», wie es auf Japanisch heisst –, gilt sie nichts. Geht es nach Chai, so braucht die japanische Kultur dringend eine Neuauflage: Neo-Kawaii – schön sind alle!

Das klingt dann etwa so wie in «Fashionista». Mit mädchenhafter Stimme singt Leadsängerin Mana über die tägliche Schminkroutine, beschreibt sie als äusserst gründlich, fast schon eine Kunst. Doch lebhafte Basslinien und bluesige Gitarrenriffs brechen mit dem zuckersüssen Gesang und verleihen dem Song etwas Ironisches und Unzufriedenes. Diese Spannung entlädt sich im Refrain, wenn Mana, Kana, Yuuki und Yuna im Chor skandieren: «Wir sind Fashionistas!», und damit ihre Antithese zum Schönheitsideal der japanischen Kosmetikindustrie behaupten.

Trotz ernster Themen herrscht auf «Punk» durchgehend Feierlaune, das enthusiastische Feuerwerk tendiert dementsprechend zur Reizüberflutung. Doch genau darauf haben es Chai abgesehen. In «Choose Go!» etwa, wenn Mana mit «Don’t stay and change bad feelings» die Bridge anstimmt, wird die musikalische Untermalung richtig ungestüm. Oder auch im von Neonfarben dominierten Video zu «Great Job», in dem die vier Musikerinnen vor Lamettavorhängen in Latzhosen und mit Staubwedel zu schrillen Synthieklängen tanzen und mit viel Hall in den Stimmen über Hausarbeit singen – eine Persiflage auf diese Arbeit und ihren absurd schlechten Stellenwert in der Gesellschaft.

Mit enormer Intensität spielen sich Chai durch die nur dreissig Minuten des Albums, einzig in «Wintime» kommen sie kurz zur Ruhe. Ihr aggressiver Optimismus und die ungebrochene Begeisterung wirken ansteckend, ihre Naivität wie eine Waffe der Hoffnung.

Chai: Punk. Burger/Heavenly. 2019