Sharon Van Etten: Jeder Song ein Talisman

Nr. 24 –

Unterwegs in die Dämmerung: Nach ihrem Meisterwerk «Remind Me Tomorrow» ist Sharon Van Etten jetzt im New-Wave-Bombast angelangt. Aber ihre Stimme hält dagegen.

Sharon Van Etten auf der Bühne am 4. Juni an der Bad Bonn Kilbi in Düdingen
Auf der grossen Bühne lässt sie die feineren Töne fast ganz weg: Sharon Van Etten am 4. Juni an der Bad Bonn Kilbi in Düdingen. foto: Maud Chablais

Ein Popsong ist immer auch ein Beschwörungszauber. Drei, vier Minuten, die kurz den Fluch jeder Vergänglichkeit bannen. Immer wieder ein paar Minuten für immer, in der Liebe oder im Schmerz. Und Songs als Beschwörungsformeln, das zelebriert gerade kaum jemand so emphatisch wie Sharon Van Etten.

Man muss nur mal «Don’t Do It» von ihrem frühen Album «Epic» (2010) hören, eine raumgreifende, schleppende Hymne über Selbsterhaltung, der Refrain mehr ein Mantra: «And you want to do it, if you want to do it / You will if you want to», immer und immer wieder. Für sich genommen, losgelöst von der Dringlichkeit in der Darbietung, seien ihr diese Zeilen ja irgendwie peinlich, sagte Van Etten letzthin im Radio. Aber eben, wenn sie das singt und wie sie es singt, beginnt es gerade in der Wiederholung mehrdeutig zu schillern. Geht es hier um Abhängigkeit und Missbrauch, von Substanzen oder in der Liebe? Wer spricht überhaupt, und zu wem, singt die Frau zu sich selber? Schwört sie sich darauf ein, eine missbräuchliche Beziehung zu beenden? So ein Song ist ja auch ein Talisman.

Schierer Trost

Der Partner, der dich kleinhält: Ihre prägende Erfahrung in einer solchen toxischen Beziehung hat Sharon Van Etten in ihren Songs überaus offenherzig thematisiert. Die Unordnung im Privaten, die sie dann auf ihrem überragenden letzten Album «Remind Me Tomorrow» (2019) aufs Cover hob, war weniger dramatisch: Riesenpuff samt Kinderbett, als sei die Verkleidungskiste explodiert wie eine Tischbombe. Seither war viel los bei ihr. Ein Duett mit Norah Jones, eines mit Josh Homme und zuletzt eines mit Angel Olsen; Nebenrolle im Film «Never Rarely Sometimes Always», für den sie auch den Abspannsong einspielte, dazu eine Neuauflage von «Epic», ergänzt um Coverversionen von Kolleg:innen wie Fiona Apple, Courtney Barnett oder den Idles. Und jetzt Album Nummer sechs, «We’ve Been Going About This All Wrong». Auf dem Cover diesmal: Van Etten ganz in Schwarz vor kleinem Haus, am Himmel hinter ihr das ominöse Glühen der Waldbrände in Kalifornien.

Ganz sachte hebt das Album an, gezupfte Gitarre, zarter Gesang, aber gerade dann, als sie von geschlossenen Türen singt, passiert das Gegenteil. Der Horizont wird weit, alles geht auf. Und nach etwas über zwei Minuten setzt im Hintergrund diese tänzelnde Basslinie ein: schierer Trost. «Darkness Fades» heisst der Song – noch nicht hell hier, aber auf dem Weg in die Dämmerung. «Darkness Fades», so heisst auch die Tour, die Van Etten vor zwei Wochen an die Bad Bonn Kilbi nach Düdingen führte. Wobei sie den gleichnamigen Song meist gar nicht spielt – vielleicht ist auch der Name der Tour mehr ein Talisman, eine Verheissung in dunklen Zeiten.

Es ist ein wuchtiges Set an der Kilbi, bei ihrem ersten Schweizer Konzert seit acht Jahren. Aber es betont eher die Limits des etwas monochromen neuen Albums. Bislang hat Van Etten ihr musikalisches Spektrum mit jeder Platte weitergezogen, auf «Remind Me Tomorrow» gipfelte das in einem raffiniert verspulten Synth Rock. Jetzt sind die Gitarren wieder präsenter, wobei sie sich diesmal auf eine etwas dumpf abgemischte New-Wave-Kulisse einschiesst. Auf der grossen Bühne lässt sie die feineren Töne fast ganz weg: viel Bombast hier, mit «Porta» und «Mistakes» landet sie vollends in der 80s-Disco, frisiert auf Stadionformat.

Baumwollslip will spielen

Doch so breitspurig viele der Songs geraten sind – die Texte sträuben sich, bleiben enigmatisch auch dort, wo sie einfach und konkret scheinen. Und auch diesmal, immer wieder: Worte wie Beschwörungen, elementare Phrasen, die die Einsamkeit bannen sollen. Wie in «Home To Me», mit der Frage, ob ihr Sohn ihr dereinst vorwerfen werde, dass er wegen ihres Berufs zu kurz gekommen sei. Lapidar hält sie entgegen: «I need my job, so don’t hold that against me». Denn egal, wie sie es als Mutter macht – wie es richtig wäre, weiss doch niemand. Auch dieser Song endet mit einem Mantra, es ist ihr Zauberspruch für eine ferne Zukunft, gerichtet an den erwachsenen Sohn: «You come home to me». Ihr Gesang ganz fein, von Wehmut gezeichnet. Dabei klingt sie sonst so schattig wie Siouxsie Sioux oder eine Patti Smith mit mehr Glam in der Stimme.

«We’ve Been Going About This All Wrong», der Albumtitel deutet es an: Beziehungsstatus zwar nicht mehr toxisch, aber vieles läuft trotzdem falsch, wenn der Mensch neben dir dich kaum mehr bemerkt. Augen auf dem Screen, Kopf in den Wolken. «Headspace» heisst der energische Song, in dem sie die Liebe nicht an den Alltag verloren geben will, ein Bastard aus verzerrtem Bass, Störgeräuschen und 80s-Glitzer. «Baby, don’t turn your back to me», so lautet hier das Mantra, insgesamt 21 Mal. Fordernd statt bedürftig, bis hin zum entwaffnenden Hinweis auf das Gegenteil von Reizwäsche: Dieser Baumwollslip ist zwar schon zehn Jahre alt, aber verflucht, er würde trotzdem gern ein bisschen spielen!

Offenbar vergeblich. «Come Back» ist gleich die nächste Beschwörung, ein Dutzend Mal. Aber wie Sharon Van Etten diese zwei Wörter im Refrain rhythmisch variiert, um die Dringlichkeit zu steigern: ins Mark, unter die Haut, direkt ins Blut.

Sharon Van Etten: We’ve Been Going About This All Wrong. Jagjaguwar/Cargo. 2022