Migrationspolitik in Grossbritannien: Abschottung und Abschreckung

Nr. 21 –

Nach dem Brexit werden in Grossbritannien auch BürgerInnen der EU abgeschoben. Demnächst will die Regierung die Asyl- und Einwanderungspolitik noch deutlich verschärfen.

Sie sagt, sie handle im Interesse der BritInnen, doch grosse Teile der Bevölkerung lehnen ihre Migrationspolitik ab: Innenministerin Priti Patel. Foto: Aaron Chown, Alamy

Leute, die dem Land Schaden zufügen wollten, würden sich «nirgendwo verstecken können», warnte kürzlich die britische Innenministerin Priti Patel in einem Interview. Die rechte Politikerin der konservativen Tories meinte damit «illegale Einwanderer» und KlimaaktivistInnen. Neuerdings werden auch EU-MigrantInnen, die zur Arbeitssuche nach Grossbritannien gekommen sind, dieser Kategorie der «Staatsfeinde» zugerechnet.

Zum Beispiel eine 25-jährige Spanierin, die Anfang Mai auf die Insel zog, um sich nach einem Job umzusehen. Doch statt sich umschauen zu können, wurde sie in ein Auffanglager geschafft, wie sie gegenüber dem «Guardian» berichtete. Oder ein 26-jähriger Grieche, der im Januar in Heathrow ankam und dann eine Woche lang in einem Flüchtlingszentrum festgehalten wurde, wo er die Nächte in einem unbeheizten Zimmer mit Gitterstäben am Fenster verbringen musste. Beide hatten gegen die neusten Einwanderungsregeln verstossen. Denn seit Januar gilt die Personenfreizügigkeit nicht mehr, seitdem brauchen auch EU-BürgerInnen ein Bleiberecht, um in Grossbritannien arbeiten zu können.

Maike Bohn hat in den vergangenen Wochen Dutzende solcher Fälle dokumentiert. Die Deutsche, die seit über 27 Jahren auf der Insel lebt, ist Mitinitiatorin der Bürgerrechtsgruppe «the3million». Diese wurde nach dem Brexit-Votum gegründet und setzt sich für die Rechte der EU-BürgerInnen in Grossbritannien ein. «Es braucht Zeit, bis sich die Leute in der EU schlaugemacht haben, was die Einzelheiten der neuen Einwanderungsregeln sind», gibt Bohn zu bedenken. Immerhin würde seit dem 1. Januar ein ganz neues Einwanderungsgesetz gelten. Viele der EU-MigrantInnen hätten bisher ungehindert hier gelebt und gearbeitet, sie seien problemlos ein- und ausgereist. «Und auf einmal dürfen sie das nicht mehr», sagt Bohn. Dass die Betroffenen plötzlich in Ausschaffungszentren landeten, dass man ihnen ihre Handys abnehme und sie tagelang ihrer Freiheit beraube, sei «eine völlig überrissene Reaktion». Dies sei auch eine Konsequenz der harten Linie, die Brexit-Hardlinerin Patel vorgebe. Mit ihrer stetigen Heraufbeschwörung angeblicher Gefahren durch «illegale Migranten» habe sie das Klima geschaffen, in dem solche Exzesse möglich seien. Die Innenministerin signalisiere den Einwanderungsbehörden, dass Härte eine Tugend sei. «Diese Rhetorik hat Auswirkungen», kritisiert Bohn.

Kein Anrecht auf Asyl

So bekommen die EU-BürgerInnen jetzt den rauen Wind der britischen Migrationspolitik zu spüren, dem Personen aus Drittstaaten schon seit vielen Jahren ausgesetzt sind – und Patel ist noch nicht fertig: Kürzlich hat sie ein neues Einwanderungsgesetz vorgelegt, das in ihren Worten «fair» sein soll. In Wirklichkeit aber läuft dieses auf eine weitere Verschärfung hinaus. Beispielsweise sollen Flüchtlinge, die auf «illegalem» Weg nach Grossbritannien kommen, kein Anrecht auf Asyl mehr haben. Dazu zählen etwa Menschen, die ihr Leben riskieren, indem sie mit Gummibooten über den Ärmelkanal fahren. Wer über diese Route ins Land gelangt, soll abgeschoben werden. Wenn eine Abschiebung nicht möglich ist, sollen die Flüchtlinge ein vorübergehendes Bleiberecht erhalten und nur begrenzte Sozialleistungen beziehen. Das volle Recht auf Familiennachzug soll nach dem Gesetzesentwurf entfallen, und es soll regelmässig überprüft werden, ob die Betroffenen nicht doch noch aus dem Land geschafft werden können.

«Lasst unsere Nachbarn gehen!»

Menschenrechtsgruppen sind entsetzt über diese Vorschläge. Mike Adamson, Vorsitzender des britischen Roten Kreuzes, befürchtet, dass nicht mehr das Bedürfnis nach Schutz ausschlaggebend sein wird, sondern die Art und Weise, wie jemand ins Land gekommen ist. «Es ist unmenschlich», kritisiert er. Die Uno-Flüchtlingsbehörde warnt, dass das Gesetz den Bestimmungen der Flüchtlingskonvention zuwiderlaufe und mit den internationalen Verpflichtungen Grossbritanniens unvereinbar sei.

Patel behauptet zwar, sie handle im Interesse der BritInnen, doch es gibt auch breite Teile der Zivilgesellschaft, die die Migrationspolitik der Regierung ablehnen. In Schottland etwa wächst seit Monaten die Kritik an den Razzien der Migrationsbehörden. Bei diesen suchen BeamtInnen im Morgengrauen und ohne Vorwarnung MigrantInnen auf, die sie eines Vergehens verdächtigen, um sie dann in Gewahrsam zu nehmen. Als Mitte Mai britische GrenzbeamtInnen im Stadtteil Pollokshields in Glasgow vorfuhren, um zwei indische Staatsbürger mitzunehmen, formierte sich innerhalb kürzester Zeit nachbarschaftlicher Widerstand. Zunächst traten einige AnwohnerInnen aus ihren Häusern und begannen zu protestieren. «Das sind unsere Nachbarn, lasst sie gehen!», riefen sie. Durch soziale Medien auf die geplante Abschiebung aufmerksam gemacht, stiessen immer mehr Leute dazu, und innerhalb weniger Stunden war der Van von Hunderten lautstark Demonstrierenden umstellt. Die beiden Männer wurden schliesslich freigelassen. Der schottische Justizminister Humza Yousaf twitterte daraufhin, das «feindselige Umfeld» der britischen Regierung sei in Schottland nicht willkommen.