Proteste in Sri Lanka: Vereint im Unmut gegen die Regierung

Nr. 16 –

Verzweiflung und Wut treiben in Sri Lanka immer mehr Leute auf die Strasse. Das Land erlebt die schlimmste Wirtschaftskrise seit mehr als siebzig Jahren.

«Go home Gota», leuchtet in roten und weissen Buchstaben auf dem prächtigen Kolonialbau. Gota, geh nach Hause. Aktivist:innen haben den Schriftzug direkt auf das Amtsbüro von Präsident Gotabaya Rajapaksa in der Hauptstadt Colombo projiziert. «Go home Gota» ist die Forderung von Tausenden – immer wieder taucht sie auf Bannern und in den sozialen Medien auf.

Seit Wochen treiben Verzweiflung, Wut und Hilflosigkeit die Leute auf die Strasse. Vom Norden bis im Süden Sri Lankas finden Demonstrationen statt. Als die Regierung deswegen Anfang April den Notstand verhängte, protestierten am darauffolgenden Wochenende erneut landesweit mehr als 20 000 Menschen.

Sri Lanka befindet sich in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit 1948. Jeden Tag kommt es zu längeren Stromausfällen, die Lebensmittelpreise sind in die Höhe geschossen. Es fehlt an Gas zum Kochen, an Treibstoff, selbst zu überteuerten Preisen. Den Spitälern gehen lebenswichtige Medikamente aus, und die humanitäre Notlage spitzt sich immer weiter zu.

Verschuldet und zahlungsunfähig

Angebahnt hat sich die Krise seit längerem: Nach den islamistischen Anschlägen an Ostern 2019 auf Luxushotels und Kirchen erholte sich die für die Insel wichtige Tourismusbranche nur langsam. Dann folgte die Pandemie. Zur gleichen Zeit verwarf Gotabaya das Sparprogramm der Vorgängerregierung. Einerseits verteilte er Coronahilfsgelder, andererseits führte er die im Wahlkampf versprochenen Steuererleichterungen ein. Um dies auszugleichen, wurde übermässig Geld gedruckt. Die Inflationsrate stieg ungebremst an.

Nach und nach gingen dem Staat die Devisen für Importgüter aus, woraufhin die Regierung Einfuhrbeschränkungen erliess – etwa für Dünger –, was die Krise abermals verschärfte. Den Landwirt:innen blieb keine Zeit, von konventioneller Landwirtschaft auf eine biologische ohne Kunstdünger umzustellen, so wie das die Regierung vorgeschlagen hatte. Öl- und Gasimporte wurden immer knapper, mittlerweile fehlt es auch an Grundnahrungsmitteln. «Sri Lanka ist über die Jahre vom Import immer abhängiger geworden», sagt Keerthi Tennakoon, ehemaliger Gouverneur der Zentralprovinz, gegenüber der WOZ. So kommt Milch etwa aus Neuseeland, aus Indien importiert das Land Reis und Zucker.

Tennakoon hatte bereits vor Monaten vor den verheerenden Folgen der Importverbote und den schrumpfenden Dollarreserven gewarnt. Mitte April war es so weit: Sri Lanka erklärte seine Zahlungsunfähigkeit. Das Land kann die Last von 51 Milliarden US-Dollar Auslandsschulden nicht mehr tragen. Über die Jahre hatten sich hohe Kredite aufgetürmt, etwa von China für grosse Infrastrukturprojekte.

Nach langem Zögern hat die Regierung in Colombo nun eingesehen, dass kein Weg an einem Rettungspaket des Internationalen Währungsfonds (IWF) vorbeiführt. Am Dienstag reiste deshalb der neue Finanzminister Ali Sabry für Gespräche nach Washington, wo er auch seine indische Amtskollegin Nirmala Sitharaman traf. Indien lieferte bereits Reis und Öl – auf Kredit – an das angeschlagene Land mit 22 Millionen Einwohner:innen. «Eine Lösung mit dem IWF ist durchaus möglich», so die Einschätzung von Exgouverneur Tennakoon. Die Lage im Land bleibe trotzdem instabil.

Rücktritt ausgeschlossen

Als Reaktion auf die landesweiten Proteste sind sämtliche Minister zurückgetreten. Präsident Gotabaya Rajapaksa setzte jüngst neue ein, allesamt Männer. Doch von den fünf Rajapaksa-Familienmitgliedern in hohen Ämtern sind vorerst nur zwei geblieben: der 72-jährige Exmilitär und Präsident Gotabaya sowie sein älterer Bruder Mahinda, der das Land als Premier von 2005 bis 2015 mit harter Hand regiert hatte.

Im Wahlkampf 2019 hatte Hardliner Gotabaya der mehrheitlich singhalesischen Bevölkerung Sicherheit und Wohlstand versprochen – liefern konnte er nicht. Nun schwindet der Rückhalt auch bei jenen, bei denen er bisher mit buddhistisch-singhalesischem Nationalismus punkten konnte. Doch politisch wird Gotabaya nur schwer zu stoppen sein: Für ein Misstrauensvotum im Parlament fehlen die Stimmen, den geforderten Rücktritt hat er ausgeschlossen.

Dabei vereint der Unmut über seine Politik die Menschen religionsübergreifend im Protest – von Jugendlichen über medizinisches Fachpersonal bis hin zu Busfahrer:innen, die aufgrund der gestiegenen Benzinpreise die Strassen blockieren. «In Colombo begannen die Proteste am 1. März mit kleinen Nachbarschaftsversammlungen», sagt die Menschenrechtlerin Marisa de Silva am Telefon. Colombos berühmte Strandpromenade Galle Face Green hat sich mittlerweile in ein Protestlager verwandelt.

«Unser Land ist seit Jahrzehnten polarisiert und gespalten», sagt de Silva. «Es gibt viel zu versöhnen.» Vor dieser Protestbewegung habe es ausser in den sozialen Medien keinen nennenswerten Widerstand gegen die Regierung gegeben. Doch nun werden die Stimmen gegen die Rajapaksas immer lauter. Und statt nur «Go home Gota» lautet die Forderung inzwischen: «Gota go to jail» – Gota, geh ins Gefängnis!