Djaimilia Pereira de Almeida: Gärtner ohne Reue

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Kapitän Celestino kehrt zurück in sein verlassenes Elternhaus. Lange Jahre fuhr er zur See, er hat seinen Beitrag zur Herrschaft Portugals geleistet. Unter anderem hat er Sklav:innen von Afrika nach Brasilien verschifft. Einmal liess er nach einer Rebellion Kalk in den Laderaum schütten und die Luken schliessen, sodass sechzig Menschen qualvoll erstickten. Aber Reue kennt Kapitän Celestino nicht. In aller Ruhe widmet er sich seinem Blumengarten.

Viele Portugies:innen dachten bis vor kurzem, dass der Kolonialismus ihres Landes humaner war als anderswo. Dass dies ein Mythos ist, wissen vor allem die Menschen, die aus einer ehemaligen Kolonie Portugals stammen. Zum Beispiel die Autorin Djaimilia Pereira de Almeida, geboren 1982 in Luanda, der Hauptstadt Angolas, als Tochter eines angolanisch-portugiesischen Elternpaars. Aufgewachsen ist sie in der Nähe von Lissabon, wo sie heute als Literaturtheoretikerin und preisgekrönte Autorin lebt. Der Roman «Im Auge der Pflanzen» ist ihr fünftes Buch.

Celestino bedeutet «der Himmlische». Die Menschen im Portugal des 19. Jahrhunderts, an dessen Ende der Roman spielt, sind fromm. Der Pfarrer versucht, Celestino zum Beichten zu bewegen, denn es gibt durchaus Gerüchte um seine Vergangenheit. Aber der redet nicht darüber und zeigt Pater Alfredo stolz seine Pflanzenpracht. Das ganze Dorf bewundert diesen Garten. Zwar meidet man den Umgang mit dem ruppigen Alten und späht nur durch die Hecken. Die Kinder jedoch sind neugierig. Sie kommen in Celestinos Garten, wo er sie mit Brombeeren füttert – und mit seinen Gräuelgeschichten: «Kommt zu mir, Kinder, zu mir, der ich Kehlen durchschnitten habe und den Schlaf der Gerechten schlafe. Wollt ihr wissen, wen ich getötet habe? Ich habe Affen und Pferde getötet. Schlangen, Wespen, einen Elefanten. Ein Krokodil von der Grösse eines Flosses: Ich habe es in fünf Teile zerhackt und mich dabei über das Vermögen gefreut, das das Riesenvieh mir einbringen würde. Ich habe zehn Frauen getötet, einer von ihnen habe ich die Füsse abgetrennt …»

«Im Auge der Pflanzen» ist ein vielschichtiger Roman. Es geht um die Verbrechen der Kolonialzeit, die langsam und nur andeutungsweise preisgegeben werden. So langsam, wie die Verdrängung des Kapitäns bröckelig wird. Und es geht um das Sterben eines Mannes, der sich immer für stark hielt, dessen Grausamkeit jedoch davon angestachelt wurde, dass er sich in der fremden Natur verunsichert fühlte. Fiebrig war er durch den afrikanischen Busch geirrt und hatte wahllos getötet. Den heimischen Blumengarten hingegen hat er nun ganz unter seiner Kontrolle, er hegt und pflegt «seine» Pflanzen mit Liebe. Die Blumen blühen auf – doch die Autorin stellt klar: Die Pflanzen sind ebenso gefühllos wie der Kapitän. «Ihnen war es egal, ob ein Mörder sich um sie kümmerte, ob die Hände, die sie hielten, schmutzig waren und was vor der Liebe gewesen war, die er ihnen schenkte.»

Beeindruckend beschreibt Djaimilia Pereira de Almeida, wie der Alte in seinem Haus verkommt, wie endlich auch seine Pflanzen verdorren, wie seine Gedanken sich verwirren. Irgendwann leisten ihm nur noch die Geister seiner Opfer Gesellschaft. Als Schattenwesen kommen sie in der Nacht, etwa wenn er schlafwandelnd in die Küche tappt und dort eine Schwarze Frau sitzt. Sie macht ihm etwas zu essen, sie kümmert sich liebevoll um ihn. Aber Celestino weiss, dass sie eine der Sklavinnen ist, die er tot aus dem Laderaum seines Schiffes ins Meer werfen liess.

Djaimilia Pereira de Almeida liest in Solothurn am Freitag, 27. Mai 2022, um 10 Uhr.

Djaimilia Pereira de Almeida: Im Auge der Pflanzen. Roman. Aus dem Portugiesischen von Barbara Mesquita. Unionsverlag. Zürich 2022. 128 Seiten. 27 Franken