Plattformregulierung: Brüssel gibt den Weg vor

Nr. 34 –

In der EU gelten für Onlineplattformen wie Google und Facebook nun neue Regeln. Die Tragweite für die Konzerne ist gross – noch grösser sind die Erwartungen.

«Was offline illegal ist, ist auch online illegal. Das ist jetzt kein blosser Slogan mehr. Es ist die Realität»: So verkündete EU-Kommissarin Margrethe Vestager im April 2022 den Durchbruch bei den Verhandlungen zum neuen europäischen Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA).

Bisher konnten Digitalkonzerne wie Google, Facebook und Apple auf ihren Plattformen im Wesentlichen schalten und walten, wie sie wollten. Sie allein bestimmten die Regeln, hielten fest, was ihre Nutzer:innen durften, welche Inhalte erlaubt waren und wie diese in alle Welt verteilt wurden. Das gefällt der EU schon lange nicht mehr. Die gesellschaftliche Bedeutung der sozialen Medien und anderer Onlinedienste ist schlicht zu gross. Nun will die EU mit dem DSA die Macht der Plattformunternehmen unter demokratische Kontrolle bringen.

Zur Rechenschaft verpflichtet

Das einheitliche Regelwerk trat bereits Ende 2022 in Kraft. Die einzelnen Länder haben noch bis Februar 2024 Zeit, die Umsetzung unter Dach und Fach zu bringen und insbesondere Fragen zur rechtlichen Zuständigkeit und zur Sanktionierung zu regeln. Bereits ab diesem Freitag gelten jedoch für neunzehn «sehr grosse» Plattformen – jene mit mindestens 45 Millionen Nutzer:innen in der EU – die ersten Regeln. Dazu gehören Facebook, Youtube, Tiktok, Instagram, Linkedin, Amazon, Zalando, Aliexpress, Wikipedia, Google oder Bing. Sie werden unter anderem zu Transparenz und Rechenschaft verpflichtet. Wer das tägliche Leben von Millionen Menschen beeinflusst, soll auch nach gewissen Regeln spielen.

Damit will die EU ein «sicheres, berechenbares und vertrauenswürdiges Online-Umfeld» schaffen, wie es in der Verordnung heisst. Der Staatenbund sorgt sich dabei besonders über die gesellschaftliche Gefahr, die von den Plattformen ausgeht. In Zukunft müssen diese deshalb regelmässig systemische Risiken überprüfen und minimieren. Damit dies auch kontrolliert werden kann, erhalten unabhängige Wissenschaftler:innen Zugang zu Daten und zur Funktionsweise von Algorithmen.

Das verpflichtet Google oder Facebook auch, die Meinungsfreiheit, faire Wahlen und Meinungsbildung sowie den Schutz von Kindern und Jugendlichen auf ihren Plattformen zu garantieren. Und sie müssen Verantwortung übernehmen, wenn sie dieser Pflicht nicht nachkommen. Wer gegen die Regeln verstossen sollte, riskiert Milliardenbussen.

Die Änderungen werden für die Nutzer:innen schnell spürbar werden. So schreibt der DSA vor, dass man sich künftig aus algorithmischen Empfehlungssystemen ausklinken kann. Diese decken uns auf Youtube und Twitter ständig mit personalisierten Vorschlägen ein. Das Resultat: Wir verbringen noch mehr Zeit auf den Plattformen und konsumieren, bis die Batterie leer ist und die Kreditkarte überzogen.

Die Systeme sorgen auch dafür, dass Digitalkonzerne immer mehr Daten über uns sammeln – wobei die Algorithmen oft polarisierende Inhalte bevorzugen. Der dahintersteckende Mechanismus ist simpel: Personalisierung und Polarisierung führen zu mehr «engagement». Und mehr «engagement» bedeutet mehr Geld für die Konzerne. Künftig müssen Nutzer:innen auch darüber informiert werden, warum ihnen gewisse Dinge empfohlen werden. Personalisierte Werbung, die aufgrund besonders sensibler Eigenschaften wie Religion, vermeintlicher Herkunft oder politischer Einstellung gezeigt wird, ist verboten. Und die Plattformen müssen jährliche Berichte darüber abliefern, wie sie ihre Inhalte moderieren.

Auswirkungen auf die Schweiz

Die Folgen für die betroffenen Digitalkonzerne sind riesig. Sie müssen viele ihrer Systeme komplett auf den Kopf stellen, um die Regeln hinsichtlich Privatsphäre und Sicherheit zu gewährleisten. So erstaunt es nicht, dass Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft allein in der ersten Jahreshälfte 2020 rund neunzehn Millionen Euro für Lobbying gegen den DSA ausgegeben hatten (siehe WOZ Nr. 51/20). Genützt hat das nicht.

Auch wenn manche die Bezeichnung des DSA als «Grundrecht für das Internet» für übertrieben halten: Dass das Gesetz weit über die EU-Grenzen Wirkung entfalten dürfte, ist zu erwarten – insbesondere durch die Kombination mit dem Gesetz für digitale Märkte (DMA), das mit dem DSA ein Zweierpaket für die europäische Regulierung des Internets bildet. Mit dem DMA hat die EU Regeln geschaffen, die die faktische Monopolstellung der Digitalkonzerne brechen sollen. Ein wichtiger Teil ist die Forderung nach Interoperabilität. Konkret sollen zum Beispiel Messenger wie Whatsapp, Signal und Threema miteinander kommunizieren können. Das soll Netzwerkeffekte – alle meine Freund:innen sind bei Whatsapp, also muss ich auch dort sein – vermindern.

Die Schweiz will es der EU gleichtun. Bis Ende März 2024 soll das zuständige Umwelt- und Energiedepartement (Uvek) eine Vernehmlassungsvorlage zur Plattformregulierung vorbereiten. Es ist davon auszugehen, dass sich die Schweiz am DSA orientieren wird. So dürfte sich das EU-Regulierungspaket nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bereits zum zweiten globalen Standard ­mausern.