Kosovo: Szenen wie aus Putins Drehbuch

Nr. 39 –

Eine serbische Kampftruppe taucht im Kosovo auf, tötet einen Polizisten und verschanzt sich in einem Kloster. Erlebt der Balkan seinen Krim-Moment?

Kosovarische Polizisten auf der Strasse zum Kloster Banjska
«Gefährlichste Situation seit 1999»: Kosovarische Polizisten auf der Strasse zum Kloster Banjska, wo am Sonntag gekämpft wurde. Foto: Visar Kryeziu, Keystone

Die Liste der sichergestellten Waffen ist zu lang, um sie im Detail wiederzugeben. 20 Kilogramm Sprengstoff sind darunter, 8 Panzerabwehrminen, 30 AK-47-Sturmgewehre und 75 Handgranaten. Darüber hinaus: kugelsichere Westen, Nachtsichtgeräte, Satellitenkarten und Uniformen.

Dieses Arsenal hat die kosovarische Polizei im serbisch-orthodoxen Kloster Banjska sichergestellt. Die gleichnamige Ortschaft liegt im Norden des Kosovo, der mehrheitlich von Serb:innen bewohnt ist. In der Nacht auf Sonntag verschanzte sich dort eine serbische Kampftruppe und lieferte sich stundenlange Gefechte mit der Polizei. Zuvor hatten die Männer einen albanischen Polizisten erschossen.

Woher stammen die Waffen?

Der Vorfall ist eine Zäsur. Seit 2011 war eine solche Eskalation nicht mehr vorgekommen. Die Regierung in Pristina spricht von Terrorismus und Edi Rama, Premierminister des Nachbarlands Albanien, von der «gefährlichsten Situation» seit Kriegsende 1999. Teil des Kampfkommandos waren etwa dreissig Serben. Mindestens vier wurden erschossen und mindestens sechs weitere festgenommen. Der Rest – rund zwanzig Männer – floh über die grüne Grenze nach Serbien.

Der Kosovo hat 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Belgrad hat diesen Schritt nie anerkannt, ebenso wenig Russland und China. Der Konflikt schwelt politisch, die Europäische Union vermittelt seit über zehn Jahren. Seit Sonntag sei alles anders, meint der kosovarische Politikberater und Sicherheitsexperte Agon Maliqi: «Zum ersten Mal sehe ich wieder die Möglichkeit eines Krieges.»

Die kosovarische Regierung beschuldigt Serbien, die Terroristen geschickt zu haben. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić weist jegliche Schuld von sich. Lokale Serben hätten gegen die «Provokationen» des kosovarischen Ministerpräsidenten Albin Kurti aufbegehrt. Aber immer mehr Beweise belasten Vučić.

«Die Waffen können nicht vom Schwarzmarkt stammen. Das sind Waffen der serbischen Armee, produziert im Jahr 2021», behauptet der kosovarische Innenminister Xhelal Sveçla. In einem Jeep wurden zudem Dokumente von Milan Radoičić sowie in Serbien ausgestellte Waffenscheine gefunden.

Radoičić gilt als einer der einflussreichsten Serben im Nordkosovo. Er ist Vizechef der Serbischen Liste, der grössten Partei der Serben im Kosovo. Die Partei ist im Parlament in Pristina mit zehn Sitzen vertreten und gilt als verlängerter Arm Belgrads. Ebenjener Radoičić soll die Kampftruppe angeführt haben. Drohnenaufnahmen zeigen ihn im Kreis der Uniformierten vor dem Kloster.

Welche Rolle spielt Russland?

Viele Fragen sind offen. Hätte eine solche Aktion ohne das Wissen der serbischen Sicherheitsbehörden vonstattengehen können? Wie gelangte das Waffenarsenal über die Grenze? Zur Erinnerung: Seit Ende des Krieges patrouillieren dort Soldat:innen der Nato. «Das waren keine Zivilisten», sagt Agon Maliqi, «sondern eine militarisierte, staatlich geförderte Einheit. Die Beschaffung und der Transport solcher Waffen können nur durch staatliche Einrichtungen erfolgen.»

Maliqi sieht gewisse Ähnlichkeiten zum Vorgehen von Russlands Präsident Wladimir Putin in der Ukraine. Russland gilt als Alliierter Serbiens. In russischen Telegram-Gruppen war am Sonntag von einer «Spezialoperation» im Kosovo die Rede. Medienberichten zufolge soll die Söldnertruppe Wagner im Nordkosovo aktiv sein.

«Der Vorfall am Sonntag ist der Versuch, ein Klima zu schaffen, in dem militärische Massnahmen gerechtfertigt sind», sagt Maliqi. Auch auf der Krim tauchten Männer ohne Abzeichen auf. Auch dort distanzierte sich Russland von den Kämpfern, griff dann aber doch ein, weil es «moralisch» notwendig war.

Es passt in dieses Bild, dass Vučić am Montag den russischen Botschafter in Belgrad traf. Er sprach von «ethnischen Säuberungen» im Kosovo, die sich gegen Serb:innen richten würden und die der Westen aktiv unterstütze. Eine ähnliche Lüge verbreitete Putin, bevor er die Ukraine überfiel.