Kosovo: Keine Einheit und Brüderlichkeit in Sicht

Nr. 7 –

Die Beziehung zwischen dem Kosovo und Serbien ist so angespannt wie lange nicht mehr. Kurz vor dem Unabhängigkeitstag erzählen ein Theatermacher und eine Anwältin von den Fortschritten und den Rückschlägen ihres Landes.

Früher waren in diesem Gebäude eine Disco und eine Bowlingbahn, jetzt ist hier das «Oda», ein Kellertheater. An der Eingangstür hängt ein Plakat, das eine gelbe Rose zeigt. Darüber die Schrift: «Negotiating Peace», zu Deutsch: Frieden verhandeln. Es ist das neue Stück von Jeton Neziraj (47), ­einem der bekanntesten Drehbuchautoren des Kosovo, der einst künstlerischer Leiter des Nationaltheaters war. Darin macht er sich über Diplomaten lustig, die Konflikte auf dem Balkan lösen wollen, und inszeniert daraus eine absurde Comedyshow. Das Stück spielt in den neunziger Jahren, ist aber angesichts der jüngsten Spannungen zwischen dem Kosovo und Serbien immer noch aktuell.

Das Theater Oda liegt in einem brutalistischen Gebäude namens «Boro und Ramiz», das aus den siebziger Jahren stammt, als der Kosovo noch Teil des sozialistischen Vielvölkerstaats Jugoslawien war. «Boro und Ramiz waren Partisanen, der eine Serbe, der andere Albaner. Sie waren das Symbol von Einheit und Brüderlichkeit», erklärt Neziraj. Als sich die jugoslawische Armee und die serbischen Paramilitärs 1999 nach Luftschlägen der Nato aus dem Kosovo zurückzogen, entstand die Redewendung «Boro ist weg, nur noch Ramiz ist hier».

Elf Jahre Dialog

Das stimmt nur bedingt. Neben der albanischen Bevölkerungsmehrheit existiert bis heute eine serbische Minderheit von rund 120 000 Menschen im Kosovo. Der Grossteil lebt im Norden des Landes, in vier Gemeinden, die direkt an Serbien grenzen. Am 24. September 2023, wenige Wochen bevor Nezirajs Stück Premiere feierte, kam es dort zu einer der schwersten Eskalationen seit Jahren. Serbische Paramilitärs stürmten ein Kloster und lieferten sich Gefechte mit der kosovarischen Polizei. Die Regierung in Prishtina geht davon aus, dass die Aktion darauf abzielte, den Norden des Kosovo zu annektieren, so wie es Wladimir Putin 2014 mit der Krim tat.

Die EU bemüht sich seit elf Jahren um eine Normalisierung zwischen den beiden Nachbarn. Auch davon hat sich Neziraj inspirieren lassen. Er sitzt in einem Café unweit des «Oda», im Rücken ein Denkmal, das die Buchstaben «Newborn» (neugeboren) bildet. Der Schriftzug wurde vor sechzehn Jahren, am 17. Februar 2008, enthüllt, als der Kosovo seine Unabhängigkeit von Serbien erklärte. Für die Mehrheit der Bevölkerung im Kosovo, neben Albaner:innen auch Bosniak:innen oder Rom:nja, ist der 17. Februar ein Grund zum Feiern, für die serbische Minderheit und die Regierung in Belgrad hingegen ein Tag der Trauer. «Ich habe 2008 ein Glück empfunden, das schwer mit etwas vergleichbar ist – am ehesten mit dem Ende des Krieges», sagt Neziraj. Damals habe ein neues Kapitel für die Kosovar:innen begonnen. «Mir war aber auch klar, dass wir unsere Erwartungen dämpfen müssen. Manche dachten ja, der Kosovo werde die Schweiz des Balkans.»

Zu wenig Schutz für Frauen

Die Schweiz des Balkans ist der Kosovo heute nicht. Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch, der Sozialstaat schwach. Mit den niedrigen Pensionen oder dem Arbeitslosengeld kann niemand überleben, und viele Familien sind auf die Unterstützung von Verwandten in der Diaspora angewiesen. Pro Jahr schicken diese rund 1,5 Milliarden Euro in den Kosovo. Das entspricht dreizehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Migration ist aber auch ein Fluch, wie überall auf dem Balkan. Eine Viertelmillion Menschen haben den Kosovo in den letzten zehn Jahren verlassen, darunter viele junge und gut ausgebildete Menschen.

So steht auch Rina Kika kurz davor, in die Schweiz zu ziehen. Die 35-jährige Anwältin vertritt immer wieder Opfer häuslicher Gewalt vor Gericht – ein Bereich, in dem, so Kika, noch viel passieren muss. «In einem meiner Fälle nahm die Polizei die Anzeige einer Frau nicht auf, weil sie ihrer Meinung nach ein zu kurzes Kleid trug», erinnert sie sich. Für einen Amnesty-Bericht hat Kika Frauen interviewt, die von den Behörden nicht ernst genommen wurden. «Viele wissen gar nicht, welche Rechte sie haben oder wo sie Hilfe suchen können.» Ein Problem sei zudem die finanzielle Abhängigkeit vieler Frauen von ihren Partnern. Siebzig Prozent der Erwerbstätigen im Kosovo sind Männer.

Wer «Kosovo» in eine Suchmaschine eingibt, stösst vor allem auf Artikel, die das schwierige Verhältnis zu Serbien thematisieren. Für die Leute vor Ort sind aber andere Themen oft wichtiger. Die seit diesem Jahr geltende Visafreiheit etwa, die es Kosovar:innen ermöglicht, für neunzig Tage in den Schengen-Raum zu reisen. Zuvor war der Kosovo das einzige Land Europas, dem dies vorenthalten war. «Spontan irgendwohin reisen, etwa auf ein Konzert, war für uns jahrelang unmöglich», sagt Kika. Oft musste man monatelang auf einen Termin bei der Botschaft warten.

Am Ende hatte auch die Visafreiheit etwas mit der ungelösten Statusfrage des Kosovo zu tun. Noch immer erkennen fünf EU-Länder – die Slowakei, Griechenland, Zypern, Spanien und Rumänien – den Kosovo nicht an. Das ist der Grund, warum das Land bis heute kein Beitrittskandidat ist, obwohl nirgendwo sonst auf dem Balkan eine so proeuropäische Bevölkerung lebt und obwohl die Medienlandschaft des Kosovo deutlich freier ist und die Wahlkämpfe fairer sind als etwa in Serbien oder Albanien. Der Konflikt mit Serbien erweist sich jedes Mal als Bumerang, wenn der Kosovo versucht, in seiner Staatswerdung einen Schritt weiterzugehen.

Rechtsruck und Trump

Die Rhetorik aus Belgrad wird derweil immer schärfer. So behauptet Serbiens Präsident Aleksandar Vučić etwa faktenwidrig, die Serb:innen im Kosovo seien «ethnischen Säuberungen» ausgesetzt. Das Narrativ erinnert an die Reden Wladimir Putins vor der Invasion in die Ukraine. «Serbien steckt in der Vergangenheit fest und hat seine Kriegsverbrechen nie aufgearbeitet», sagt Jeton Neziraj. Er glaubt, Serbiens Appetit, sich mehr Territorium anzueignen, sei ungestillt. «Sie können nicht mehr die Armee schicken. Aber wenn sie könnten, dann würden sie es tun.»

Wichtigste Sicherheitsgarantie für das kleine Land ist die seit 1999 im Kosovo stationierte Nato-Schutztruppe Kfor. Wie es damit weitergeht, hängt stark von globalen Entwicklungen ab, etwa von einer drohenden Rückkehr Donald Trumps ins Weisse Haus. Trumps Exgesandter für den Balkan, Richard Grenell, empfahl unlängst, die US-Kontingente in der Nato-Schutztruppe aus dem Kosovo abzuziehen. Zum anderen ist da der generelle Rechtsruck in Europa, der sich bei den im Juni anstehenden EU-Wahlen noch deutlicher manifestieren könnte. Viele der erstarkenden Parteien wie die FPÖ in Österreich oder die AfD in Deutschland sind prorussisch eingestellt. Russland wiederum gilt traditionell als Verbündeter Serbiens und erkennt die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an.

Wie sich der Dialog zwischen dem Kosovo und Serbien nach den EU-Wahlen entwickelt, weiss Jeton Neziraj nicht. In einem ist er sich aber sicher: Es braucht nicht nur einen Dialog der politischen Führung mit Belgrad, sondern auch mit den Serb:innen im Kosovo. Wenn diese sich als Bürgerinnen und Bürger der Republik Kosovo fühlen, hat Aleksandar Vučić seine wichtigste Trumpfkarte verloren.