Service der Zukunft: Mitbestimmen ist besser als halbieren

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Die Schweiz rühmt sich gerne ihres Service public. Bloss darf die Bevölkerung bei Swisscom, SBB oder SRG kaum mitreden. Wie könnte die Demokratisierung gelingen?

Illustration von Luca Schenardi: eine menschliche Gestalt in Form einer Uhr auf einem Sessel

Die Mieten steigen, die Krankenkassenprämien auch, und auf den Fahrplanwechsel im Dezember hin war es so weit: Die Preise im öffentlichen Verkehr in der Schweiz wurden ebenfalls erhöht, um durchschnittlich 3,7 Prozent. Verantwortlich dafür zeichneten nicht etwa die Bahn- und Busunternehmen, die eigentlich über die Tarifhoheit verfügen, sondern das Bundesamt für Verkehr, genauer dessen Direktor Peter Füglistaler. Dieser wies die Unternehmen an, die Preise zu erhöhen, gegen deren Willen. Er forderte von den ÖV-Betrieben mehr Effizienz und höhere Erträge – schliesslich würden sie Subventionen erhalten. Füglistaler, studierter HSG-Ökonom, wünscht sich sowieso mehr Wettbewerb auf der Schiene: So ist es ihm gelungen, dass in den kommenden Verhandlungen mit der EU über eine Marktöffnung bei der Bahn gesprochen wird. Bald dürfte deshalb auch der Billigzug Flixtrain in die Schweiz rollen (siehe WOZ Nr. 46/23).

Eine Art Monopol

Füglistalers Intervention zeigt: Im Bereich des Service public, der in der Schweiz die öffentlichen Güter bereitstellen soll, wird gerne eine Art Pseudowettbewerb inszeniert. Lange waren die Institutionen des Service public vielleicht etwas träge, aber zuverlässige Staatsbetriebe. Nach dem Ende des Kalten Krieges sollten die Regiebetriebe, wie die SBB oder die PTT früher genannt wurden, privatisiert werden. In der neoliberalen Heilslehre der neunziger Jahre, die in der Schweiz selbsternannte Wirtschaftsführer mit dem Weissbuch «Mut zum Aufbruch» verbreiteten, war viel von «Überregulierung» die Rede. Tatsächlich wurden SBB und PTT damals formal in Aktiengesellschaften überführt, aber nur bei der Telekommunikation mit der Swisscom wurde auch eine materielle Teilprivatisierung durchgesetzt. In der Eigenwerbung bezeichnet sich die Swisscom heute als eines der innovativsten Unternehmen der Schweiz, der Bund hält aber immer noch 51 Prozent der Aktien. In Wahrheit hat die Swisscom aufgrund ihrer Geschichte noch immer eine Art Monopolstellung und vereinigt mehr als die Hälfte aller Mobilfunkkund:innen auf sich.

Füglistalers Preisintervention beim öffentlichen Verkehr führt aber noch etwas Zweites vor Augen: dass die Benutzer:innen des Service public sich zwar durchaus mit diesem identifizieren sollen, aber am Ende doch nur als Kund:innen adressiert werden, die nicht über dessen Zukunft mitbestimmen dürfen. Was ihnen bleibt, ist die Wahl eines Abos, ob beim öffentlichen Verkehr oder bei der Telekommunikation. Das Versprechen der individuellen Freiheit im Neoliberalismus – es ist auch im Service public am Ende nur die bekannte Wahlfreiheit zwischen Mineralwasser mit Sprudel und Mineralwasser ohne. Doch muss das tatsächlich so sein und bleiben? Oder würde der öffentliche Luxus nicht gerade in der Demokratisierung des Service public liegen, wie das Lemon Banhierl in dieser WOZ fordert (vgl. «‹Öffentlicher Luxus würde uns allen die Angst nehmen›»)? Welche Möglichkeiten gibt es dazu überhaupt?

Hebel von aussen

Von aussen, sprich in der Politik, gibt es zahlreiche Hebel, um den Service public zu verändern. Der mächtigste ist selbstverständlich das Geld. Nichts zeigt das so deutlich wie die sogenannte Halbierungsinitiative der SVP. Sie stellt einen veritablen Angriff auf den Service public im Bereich der Information dar. Zwar sieht sich auch die SRG gerne als Unternehmen und zahlt ihren Chef:innen entsprechend exorbitante Saläre. Doch der öffentlich-rechtliche Rundfunk bleibt über den Staat finanziert: Die Gebühren machen rund achtzig Prozent der SRG-Gesamteinnahmen aus. Eine Halbierung dieses Wertes hätte unzweifelhaft gravierende Folgen für das Programm.

Doch die Politik hat auch weniger destruktive Möglichkeiten zur Einflussnahme. So bestimmt der Bundesrat die Verwaltungsräte in den staatsnahen Unternehmen wie etwa der Post und entsendet auch weiterhin einen Staatsvertreter in den Verwaltungsrat der innovativen Swisscom. Vor allem aber legt er die strategischen Ziele dieser Unternehmen fest. Zwar umfassen diese nur allgemeine finanzielle und personelle Vorgaben, die konkrete Umsetzung liegt dann bei der Geschäftsleitung der Unternehmen. Doch das Beispiel der Intervention von Füglistaler belegt, dass der Bundesrat und seine Ämter durchaus Einfluss nehmen können, etwa auf die Preispolitik: Statt einer Verteuerung der ÖV-Preise für alle könnte eine etwas schlauere Politik auch den ökologischen Umstieg von der Strasse auf die Schiene befördern.

Man muss nicht Bundesrat oder Parlamentarierin sein, um mitzureden: Schliesslich gehören zum Service public nicht nur Kolosse wie die SBB, die Post, die Swisscom oder die SRG, sondern auch die Gesundheitsinfrastruktur mit all ihren kantonalen Spitälern oder die Elektrizitätsversorgung mit ihren kommunalen Wasser- oder Solarkraftwerken. Just ein linkes Referendum gegen die Liberalisierung des Strommarkts war es bekanntlich, das 2002 die Privatisierungswelle in der Schweiz gestoppt hat. Eine politische Rückeroberung des Service public ist also jederzeit möglich: ob auf Bundesebene, in den Kantonen oder den Gemeinden.

Dass das in den letzten Jahrzehnten wenig passiert ist, hat wohl vor allem damit zu tun, dass der Neoliberalismus in den Köpfen wirkt. Viele verkennen dabei, dass nicht nur von aussen eingegriffen werden kann, sondern auch die Institutionen des Service public von innen etwas verändern könnten.

Spielwiese Pseudomarkt

Zugegeben, die Möglichkeiten muss man suchen oder erst noch schaffen. Am stärksten ausgebaut sind sie bei der SRG. Deren byzantinische Organisationsform ist zwar schwierig zu durchschauen, doch als privatrechtlich organisierter Verein ist ihr oberstes Organ eine Delegiertenversammlung. Deren Mitglieder werden von Regionalgesellschaften gewählt, die wiederum in Mitgliedsgesellschaften unterteilt sind. Zwar sind diese perfekt harmlos ins Unternehmen integriert, so vermeldete die Mitgliedsgesellschaft Ostschweiz kürzlich einen Tagesausflug auf den Säntis mit Vortrag des SRF-Hausmeteorologen. Aber im Grundsatz liesse sich über diese Mitgliedsgesellschaften die ganze SRG umkrempeln, sofern man ihr nicht einfach die Hälfte des Geldes streichen will.

Derartige Mitwirkungsmöglichkeiten sucht man bei den SBB vergeblich. Hier sind es vor allem die Gewerkschaft SEV, der Verkehrs-Club VCS und weitere Interessengemeinschaften bis hin zu Eisenbahnfans, die Einfluss zu nehmen versuchen. Allerdings wieder stärker über den Weg der Politik. Die Swisscom ist selbst offenbar so innovativ, dass sie kaum Anregungen von aussen braucht – obwohl die Telekommunikation, das Internet und mit ihr der ganze Datenschutz durchaus Fragen von öffentlichem Belang wären. So gesehen dürfte es sich durchaus lohnen, neu und anders über den Service public nachzudenken: als Institutionen, die historisch einst den Staat prägten, dann versuchsweise auf einem Pseudomarkt Wettbewerb spielen durften – und in einer wünschenswerten nächsten Phase wieder stärker auf die Bedürfnisse der Bevölkerung Rücksicht nehmen könnten.

Eine Idee dazu wäre eine Mitbestimmungsinitiative. Sie könnte etwa fordern, dass die Institutionen des Service public auf Mitbestimmung des Personals wie auch der Benutzer:innen gründen. Wenn man nur schon an die Eisenbahn denkt, liegt hier ein unglaubliches Nutzer:innenwissen brach, die gesammelte Schwarmintelligenz der Pendler:innen. Eine solche Mitbestimmungsinitiative könnte weiter festschreiben, dass die Unternehmensorganisation nicht auf den Profit zielen darf und möglichst günstige öffentliche Güter für alle zur Verfügung stellen muss. Schliesslich ist das der wichtigste Wert des Service public: dass man sich mit ihm identifizieren kann. Gerade weil er allen gehört, muss er auch wirklich allen zur Verfügung stehen.

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