Vom Einen: Hinter den Wörtern

In ihrer Aufsatzsammlung hat Isolde Schaad das Werk von elf ihrer publizistischen Leitsterne auf den erotischen Subtext hin untersucht.

«Verbissen» seien die Porträts, «wilde Behauptungen», «wirres Geschreibsel», «ein Buch der Verkenntnis, das schmerzt», denn die Autorin habe «mit höhnischer Bitterkeit kurz und klein geschrieben, was sie einst liebte», empört sich die «Basler Zeitung» (15. 10. 04). Ganz offensichtlich kann die Frage «nach dem Geschlecht des Schreibens» derart provozieren, dass man, noch bevor man zu lesen beginnt, wutentbrannt um sich schlägt. Schon der erste Text in Isolde Schaads neuem Buch ist nämlich eine Eloge ohne Wenn und Aber: «Susan Sonntag, die grosse Lady der Renitenz, ist unsere unverwüstliche Vorhut.» Und weiter hinten heisst es über Hans Magnus Enzensberger: «Er blieb der Kopf, der kein Haupt sein wollte, nichts Cäsarisches war je an diesem lichten Scharfsinn gewesen.»

Die Frage «nach dem Geschlecht des Schreibens» ist aber tatsächlich der gemeinsame Nenner der elf Texte. Zwar könnte das Leben der Porträtierten, schreibt Schaad in ihrer Vorrede, nicht unterschiedlicher sein, «aber eins teilen sie alle: die Abkehr von der Norm». Porträtiert werden also Intellektuelle des 20. Jahrhunderts als NonkonformistInnen der Geschlechtlichkeit auf dem Weg zu einer «neuen erotischen Identität», die ihren Namen erst später bekommen habe: «Gender, das Geschlecht, das sich sozial definiert». Auf die Suche nach diesem «erotischen Subtext» macht sich Schaad, und zwar auch dort, wo die «Autorschaften ihr Liebesleben nicht auf den Tasten austragen». Denn: «Was wir nicht lieben oder hassen, was in uns Autoren nicht Denkströme und Erregung auslöst, darüber schreiben wir nicht.»

Die Porträtierten stammen aus dem Umfeld dreier Denkbewegungen des zwanzigsten Jahrhunderts: des Existenzialismus, des Feminismus und der neuen Linken. Der Reihe nach sind es Susan Sontag, Hans Magnus Enzensberger, Ingeborg Bachmann, Max Frisch, Elfriede Jelinek, Peter Handke, Hannah Arendt, Simone de Beauvoir, Martin Walser, Barbara Sichtermann und Marcel Duchamp – Letzterer unter besonderer Berücksichtigung seiner «Schriften».

Es liegt auf der Hand, dass Schaad als «Altfeministin», wie sie sich ab und zu nennt, auf der «Seite der Kontestanten gegen jedes Establishment» steht und die Werke grundsätzlich patriarchatskritisch liest. So würdigt sie Max Frischs Werk als das eines «Menschen (männl.)», dem «wir beim Mannsein und Scheitern als Mann zusehen dürfen». Und wenn sie, wie bei Peter Handke, böse wird, es sei dessen «Hohn und unsere Schmach», dass in seinem Werk die Frau zu einem Motiv unter anderen heruntergekommen sei, so hängt sie dem Text einen «Nachsatz» an, in dem sie berichten kann, Handke habe sich mit seinem neuesten Roman auf den Weg der Besserung begeben, weil «der Autor als Frau erwacht» sei. Isolde Schaad verteidigt bis zum Letzten, was sie kritisiert.

«Vom Einen» versammelt bis auf die Erstveröffentlichung über Martin Walser Aufsätze, die in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften erschienen sind (unter anderem in der WOZ). Dokumentiert sind Texte, die für konkrete Medien zu einem konkreten Anlass gemacht worden sind. Was ihnen deshalb verständlicherweise an Systematik bei der Behandlung der Ausgangsfrage abgeht, machen sie durch die Vielfältigkeit des Zugangs und die Originalität der Darstellung wett.

Letztere allerdings ist ab und zu dis­kutabel. Zweifellos ist Isolde Schaad hierzulande stilistisch eine der prägnantesten Publizistinnen überhaupt. Und vielleicht muss man ihr das einmal deutlich sagen, damit sie nicht noch immer mehr des Guten tun will. Ab und zu nämlich wirken ihre Formulierungen forciert, das permanent Frappierende der Wendungen wird zur Manier und das Gesagte wird vor lauter Originalität dunkler als nötig. Wenn sich zum Beispiel das letzte Kapitel von Martin Walsers neustem Buch «in einer Endlosschlaufe auf dem flachen Land des ‹seienden Seins› bewegt», dann wagt man dann doch zu fragen, ob das noch gut gesagt oder schon nur noch gut gemeint ist.

Isolde Schaad: Vom Einen. Literatur und Geschlecht. Elf Porträts aus der Gefahrenzone. Limmat Verlag. Zürich 2004. 186 Seiten. 38 Franken