Gaskonferenz in Wien: Lobby hinter verschlossenen Türen

Nr. 14 –

Hunderte Vertreter:innen der Gasbranche haben sich in Wien getroffen, um Geschäfte anzubahnen. Normalerweise geht das abseits der Öffentlichkeit vor sich. Doch dieses Mal gab es Proteste.

Polizeikordon vor dem Wiener Marriott-Hotel
Für Schutz ist gesorgt: Polizeikordon vor dem Wiener Marriott-Hotel. Foto: Christian Bruna, Keystone

Es ist eine illustre Runde, die sich am Abend des 28. März im Foyer des luxuriösen Wiener Marriott-Hotels versammelt hat. CEOs grosser Energiekonzerne sind dort, Lobbyist:innen der Gasbranche sowie mindestens ein Mitglied der EU-Kommission. Sie alle nehmen an der European Gas Conference teil, die vom 27. bis 29. März in Wien stattfindet – gut abgeschirmt von der Öffentlichkeit. Video- und Fotoaufnahmen, die der WOZ vorliegen, haben das Geschehen aber teilweise festgehalten. Sie zeigen, wie sich die rund 500 Teilnehmer:innen an jenem Abend in Bussen und unter Polizeibegleitung vom Marriott-Hotel auf den Weg ins Café Central machen. Dort nehmen sie, nachdem sie im «Marriott» zwei Tage voller Netzwerken und Lobbying hinter sich gebracht haben, an einem Galadinner teil.

Doch als alle an den Esstischen Platz genommen haben, springt plötzlich eine junge Frau auf, wie ein Video zeigt, das sich in den vergangenen Tagen viral verbreitet hat und auch von zahlreichen Medien geteilt wurde. Vor ihrer Brust hält sie ein Schild, auf dem die Frage steht: «At what cost» – zu welchen Kosten? Lautstark protestiert sie gegen die «Multimilliarden-Dollar-Deals», die hier verabredet werden, um «eine katastrophale fossile Zukunft» zu schaffen. Nach nur wenigen Minuten wird sie von muskulösen Sicherheitsleuten in Anzügen abgeführt. Die Frau ist Teil einer Aktivist:innengruppe aus dem Umfeld der Block Gas Alliance, die in Wien Proteste und direkte Aktionen gegen die Gaskonferenz organisiert. Ihr und ihren Begleiter:innen sind die Impressionen aus dem Inneren der Konferenz zu verdanken.

Hochrangige Branchenvertreter:innen

Die European Gas Conference findet jedes Jahr in Wien statt. Organisiert wird sie vom in London ansässigen Energy Council. Dahinter steht die transnational aktive Veranstaltungsfirma Clarion Energy, deren Eigentümer seit 2017 die Investmentgesellschaft Blackstone ist. Clarion Energy beschreibt ihre Mission wie folgt: «qualifizierten Investoren» den Zugang zur Öl- und Gasbranche zu ermöglichen. Darum geht es auch bei der Gaskonferenz, einem privat organisierten Event, dessen Implikationen jedoch hochpolitisch sind.

Der Zugang zur Konferenz ist exklusiv. Mit Frühbucherrabatt kosten Einzeltickets 1800 Euro. Der Vollpreis beträgt über 5000 Euro. Auf der offiziellen Teilnehmer:innenliste fällt zunächst die Präsenz von Blackrock auf, einem der weltweit grössten und einflussreichsten Investmentkonzerne. Blackrock teilt sich die Bühne mit einflussreichen Playern aus der Öl- und Gasbranche: Eon, EDF, OMV, Shell oder auch RWE. Ministerien verschiedener Staaten haben ebenfalls Mitarbeiter:innen der «fachlichen Ebene» auf die Konferenz geschickt, darunter das US-Energieministerium, das deutsche Bundeskanzleramt und das österreichische Wirtschaftsministerium. Mit einem Redebeitrag beteiligte sich auch die EU-Kommission. Deren stellvertretender Generaldirektor für Energie, Matthew Baldwin, sprach vor den Teilnehmer:innen über die Strategie der EU zur Loslösung von russischen Gasimporten.

Eine grosse Bedeutung kommt dabei der Gewinnung von Flüssiggas zu. Der erste Kongresstag war ausschliesslich dem Thema «Liquefied Natural Gas» oder LNG, wie die Abkürzung des englischen Begriffs für Flüssigerdgas lautet, gewidmet. An einer Podiumsdiskussion über die langfristige Finanzierung von LNG nahm auch der Managing Director von Blackrock, Christian Synetos, teil. Das Interesse ist gross, denn das LNG-Geschäft boomt. Im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine orientieren sich die EU-Staaten zunehmend an vor allem in den USA und auf dem afrikanischen Kontinent gefördertem Flüssiggas. Neue Infrastrukturen wurden dafür innerhalb weniger Monate aus dem Boden gestampft. In Wilhelmshaven an der deutschen Nordseeküste wurde Ende 2022 ein neues LNG-Terminal eingeweiht, an dem die für den Seetransport benötigten speziellen Tankschiffe anlaufen und ihre Ladung löschen können. Uniper, der Konzern, der das Terminal betreibt, war ebenfalls auf der Konferenz anwesend.

Nicht die «Tankstelle Europas»

Während die Teilnehmer:innen im Wiener Café Central zu Abend essen, demonstrieren vor den Toren des Marriott-Hotels rund 5000 vorwiegend junge Menschen für einen Ausstieg aus Gas und anderen Formen fossiler Energiegewinnung. Zur Demo aufgerufen hatte unter anderem die Klimaschutzbewegung Fridays for Future. Ihnen stehen Polizist:innen in voller Montur mit zwei Wasserwerfern und Hundestaffeln gegenüber. Mindestens zwei Überwachungsdrohnen der Polizei kreisen am Himmel. Wie viele Polizist:innen im Einsatz sind, dazu will die Landespolizeidirektion Wien nicht Auskunft geben. Sichtbar sind aber Einheiten aus ganz Österreich, es mögen durchaus 1000 Beamt:innen sein. Während die Demonstrant:innen ihre Zwischenkundgebung abhalten, sprühen einzelne Polizist:innen Pfefferspray in die Menge. Bereits am Vortag hatten Sicherheitskräfte grosse Mengen Pfefferspray auf Demonstrant:innen versprüht, die im Rahmen von Aktionstagen mit dem Titel «Block Gas» über Stunden Zufahrtswege zum «Marriott» blockiert hatten.

Während auf der Konferenz mehrheitlich Personen und Institutionen aus dem europäischen und dem angloamerikanischen Raum vertreten sind, sind die Gegenproteste durch Gesichter und Stimmen des afrikanischen Kontinents geprägt. «Don’t Gas Africa» nennt sich die von zahlreichen zivilgesellschaftlichen Akteur:innen getragene Kampagne, mit der sie sich zur Wehr setzen gegen das, was sie als «neokolonialen Raubzug Europas» bezeichnen. Während im Hintergrund bewaffnete Polizist:innen mit ihren Schildern Demonstrant:innen zurückdrängen, ruft der «Don’t Gas Africa»-Sprecher Dean Bhebhe: «Afrika weigert sich, die Tankstelle Europas zu sein.»

Am Wochenende zuvor hatten Bhebhe und seine Mitstreiter:innen im Rahmen einer von Attac und anderen Gruppierungen der Klimagerechtigkeitsbewegung organisierten Alternativkonferenz in gut besuchten Workshops beschrieben, was sie damit meinen: Der afrikanische Kontinent werde derzeit von europäischen Öl- und Gaskonzernen buchstäblich überrannt, so Bhebhe. Man könne gar nicht so schnell schauen, wie neue Verträge für die Errichtung von Gasinfrastrukturen abgeschlossen würden. «Aber nichts davon nützt dem afrikanischen Kontinent. Das Gas fliesst nach Europa, während Afrika in fossile Geiselhaft genommen wird. Wir wehren uns gegen diesen neokolonialen Extraktivismus, der eine unabhängige und grüne Entwicklung Afrikas verhindert.»

Mehr als 150 Strafverfahren

Durchgesetzt wird diese Entwicklung auch in Europa mit repressiven Mitteln. Gegen 158 der Polizei grossteils unbekannte Aktivist:innen wurden im Zuge der Proteste Verfahren wegen des Verdachts auf «schwere gemeinschaftliche Gewalt» eingeleitet. Schlicht, weil sie sich an Sitzblockaden beteiligt hätten, wie eine Sprecherin der Wiener Staatsanwaltschaft auf Anfrage sagt. Gas und Demokratie – beides scheint nur schwer zusammenzugehen.