Durch den Monat mit Hanno Loewy (Teil 1): Was wurde aus der Utopie eines gemeinsamen Staates?

Nr. 49 –

Wie der Direktor des Jüdischen Museums Hohenems in den achtziger Jahren auf eine spezielle Fotosammlung stiess. Was das mit Palästina vor der Gründung des jüdischen Staates zu tun hatte – und wieso Jerusalem bis heute für viele als Mitte der Welt gilt.

Portraitfoto von Hanno Loewy
«Das Pogrom in Hebron 1929 hat schon damals viele Illusionen zerstört»: Hanno Loewy.

WOZ: Hanno Loewy, seit Mai zeigt das Jüdische Museum Hohenems eine Ausstellung über junge israelische Palästinenserinnen in Tel Aviv. Sie selbst haben schon 1986 ein Buch mit dem Titel «Kein Utopia. Araber, Juden, Engländer in Palästina» herausgegeben. Wie kamen Sie darauf?

Hanno Loewy: Meine Eltern sind in den dreissiger Jahren von Deutschland nach Palästina emigriert. Damals träumten sie noch von einem gemeinsamen Staat von Juden und Arabern. Als in den Fünfzigern klar wurde, dass daraus – jedenfalls damals – nichts werden konnte, kehrten sie nach Deutschland zurück.

Was hiess das für Sie?

Natürlich spielte die Frage, was aus dem Traum eines «jüdischen Staates» geworden ist, in meiner Jugend in Frankfurt eine Rolle. Für die meisten Jüd:innen war das vor allem mit der Sehnsucht nach einem sicheren Hafen verbunden, bei Überlebenden der Shoah etwa, die in Deutschland gelandet waren. Auch für Menschen wie meine Eltern war das Leben im Land der Täter eines auf Probe. So ist auch die erste Nachkriegsgeneration mit der Frage aufgewachsen, ob man nach Israel auswandern soll. Mit dem Libanonkrieg 1982 entstand bei jüngeren deutschen Jüd:innen das Gefühl, etwas beitragen zu müssen, damit dieser Konflikt einmal zu Ende geht. In dieser Zeit bin ich in einem Antiquariat in Frankfurt auf eine grosse Fotosammlung gestossen.

Um was ging es dabei?

Da begegnete ich dem Buchhändler Walter Zadek, der wie meine Eltern in den Dreissigern nach Palästina ausgewandert war und als Fotograf dort den Alltag dokumentiert hatte – als noch völlig offen war, was aus dieser Region werden würde, und sich selbst die zionistische Weltorganisation noch nicht traute, von einem jüdischen Staat zu reden. Paradoxerweise war es der Holocaust, der das dann möglich machte. Die meisten Überlebenden wollten 1945 ja zunächst in die USA. Doch die hatten die Tore geschlossen. Hunderttausende Überlebende wurden so zum Faustpfand der zionistischen Bewegung. Dass der Teilungsbeschluss der Uno 1947 zustande kam, lag auch daran, dass die Sowjetunion dafür stimmte. In deren Augen war Israel ein gegenkoloniales Projekt, gegen die Briten. Das sahen übrigens auch viele Juden in Palästina so. Dieser Plan sah einen jüdischen und einen arabischen Staat vor – mit Jerusalem unter internationaler Verwaltung. Letztlich war das damals offenkundig utopisch.

Inwiefern?

Schon 1947, im ersten arabisch-israelischen Bürgerkrieg zwischen Jaffa und Tel Aviv, zeichnete sich ab, dass sich beide Seiten nicht an den Plan hielten. Die neu gegründeten arabischen Staaten lehnten ihn rundweg ab – sie wollten weder einen jüdischen Staat noch ein unabhängiges arabisches Palästina. Sie wollten sich den Kuchen selber teilen. Das wird heute gerne unterschlagen. Am 14. Mai 1948, als der Staat Israel ausgerufen wurde, fielen fünf arabische Armeen über das Land her. Da herrschte schon seit Monaten Bürgerkrieg: 700 000 Araber:innen wurden in der Nakba vertrieben oder flohen im Glauben, nach einem arabischen Sieg zurückkehren zu können. Wird heute von «Kontext» gesprochen, fragt sich halt: An welcher Stelle fängst du an?

Wo würden Sie beginnen?

Fängst du um 1800 an, hast du ein dünn besiedeltes Gebiet mit einer arabischen Mehrheit und vielen Minderheiten, auch einer alten jüdischen. Mitte des 19. Jahrhunderts gab es um Jerusalem erste neue Siedlungen mit jüdischen Einwander:innen. Aber auch viele Palästinenser:innen liessen sich erst damals dort nieder. Ab den 1880ern, als der Antisemitismus in Ost- und später auch in Westeuropa und den USA immer bedrohlicher wurde, entwickelten sich eine Hoffnung auf eigene Souveränität und auch der Mythos, Palästina sei ein «Land ohne Volk». 1919 schliesslich entstand das britische Mandat auf Basis der Balfour-Deklaration von 1917, in der Juden eine Heimstatt in Palästina versprochen und gegenüber den arabischen Eliten bekräftigt wurde, dass die Rechte der arabischen Bevölkerung nicht tangiert werden dürften. Die Briten haben Palästina schlicht beiden Seiten versprochen.

Und die Utopie eines gemeinsamen Staates?

Das Pogrom in Hebron 1929, das zur vollständigen Vertreibung der Jüd:innen führte, hat schon damals viele Illusionen zerstört. Die herrschenden Kräfte auf beiden Seiten wollten sich mit ihrem jeweils eigenen Projekt einer ethnisch bestimmten Gemeinschaft durchsetzen. Und konkurrierten miteinander gegen die Briten. Jerusalem als Schnittstelle zwischen Asien, Afrika und Europa war immer ein geopolitisch umstrittenes Gebiet. Seit über 2500 Jahren haben verschiedene Mächte diese Region regiert und die Bewohner:innen gegeneinander ausgespielt. Und mit der Geburt des Christentums wurde die jüdische Vorstellung von dem einen Gott universalisiert. So hat sich die Vorstellung durchgesetzt, dass Jerusalem die Mitte der Welt sei – auch im Islam, indem er es zum Ort erklärte, wo am kommenden Tag des Gerichts entschieden wird. Das liegt allem Reden über diesen Konflikt zugrunde – bis in Teile der sich als säkular verstehenden Linken, die das Geschehen in Jerusalem als geradezu heilsgeschichtlich entscheidend ansehen.

Hanno Loewy (62) studierte Literatur-, Theater- und Filmwissenschaft sowie Kulturanthropologie in Frankfurt am Main. Seit 2004 leitet er das Jüdische Museum Hohenems. Infos zum aktuellen Programm: www.jm-hohenems.at.