Die Nichtdemo von Bern: Tanz in den Knast

Nr. 4 –

Warum diese Veranstaltung ein Erfolg für die Wef-KritikerInnen war und warum man sich trotzdem Sorgen machen muss.

Bern war Schauplatz einer Nichtdemonstration gegen das World Economic Forum in Davos, einer Demonstration, die keinen Anfang und kein Ende hatte und deswegen nicht zu fassen war. Immer wieder bildeten sich Umzüge, die die Polizei blockierte, die sich dann wieder in Gruppen und Einzelpersonen auflösten, die wie ein Rhizom die Gassen zwischen Bahnhof und Rathaus durchwucherten.

Es war eine absurde Situation. Wenige Tage zuvor hatte der Gemeinderat eine Demonstration verboten und stattdessen eine Kundgebung auf dem vergitterten Bundesplatz erlaubt. Die OrganisatorInnen traten auf dieses Angebot nicht ein, weil das wohl einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen hätte. Und dann warteten alle gespannt auf den Samstag.

Bern war ganz in Blau. Polizeikommandant Daniel Blumer hatte es zwar angekündigt, aber das grösste Polizeiaufgebot, das die Stadt Bern je gesehen hatte, war noch viel grösser, als man sich das vorgestellt hatte. 800 Polizisten – so die lokale Fernsehstation Telebärn – aus mehreren Kantonen mit einer Unmenge Fahrzeuge drängten in die City und mit ihnen Mannschaftswagen, Wasserwerfer, mobile Absperrgitter, Militärfahrzeuge.

Auf der anderen Seite – die es so nicht gab – standen Mönche, Wanderprediger, Eisprinzessinnen, Samariter, ambulante Händler, Musikerinnen, Poeten, Rekruten, die Leute von Repress-TV und zahlreiche weitere AkteurInnen, die die Innenstadt in eine grosse Freiluftbühne verwandelten. Waren es vielleicht auch weniger Leute als an einer gewöhnlichen Demonstration, so machten sie dies mehr als hundertfach durch ein Feuerwerk aus Fantasie, Witz und guter Stimmung wett. Es gab viel zu lachen an diesem Nachmittag. Das liess den Polizeiapparat schon recht lächerlich aussehen und war ein Sieg des intelligenten Ungehorsams über die bornierte Staatsmacht. Und für die Zukunft weiss man, dass ein ernsthafter Aufruf zu einer Demonstration ausreicht, um die ganze Stadt mit PolizistInnen zu füllen.

Allmachtsfantasien der Polizei

Und doch kann dieser fulminante Samstag nicht richtig fröhlich machen. Beunruhigend ist vor allem, dass Berns rot-grün dominierte Stadtregierung vor der Polizeilogik einfach kapituliert hat. Eine Logik, die darin besteht, einfach immer mehr Mannschaften heranzukarren, um politischen Widerstand auf der Strasse jederzeit kontrollieren zu können. Wenn nichts passiert, dann hat sich der Einsatz schon gelohnt. So schön offen hat das kürzlich der Zürcher Einsatzleiter des Kessels von Zürich Altstetten formuliert. Und auch in Bern schien diese Regel zu gelten. Ein derartiges Aufgebot lässt sich auch durch die eingeschlagenen Scheiben von der Wef-Demo 2003 nicht legitimieren. Dass rot-grüne Stadtregierungen hier nicht die politische Führung übernehmen und die polizeilichen Allmachtsfantasien zurechtstutzen, ist bitter.

Umso mehr als es nicht nur um eine symbolische Präsenz ging. Dies mussten die vielen Personen erfahren, die kontrolliert, abgeführt und zum Teil stundenlang festgehalten wurden. Das merkten auch mehrere festgenommene JournalistInnen. Das ist mehr als ein Übergriff, das ist ein Skandal. Auch wundert man sich, wer alles unter welchen Vorwänden eingepackt und abtransportiert wurde und wie akribisch die Polizei bei jeder Personenkontrolle eine eigene Fiche anfertigt, in der unter anderem auch der Beruf angegeben werden musste.

Bürgerliche Ängste der SP

Berns links-grüne Regierungsmehrheit ist nicht besonders mutig, aber sie kann wenigstens auf die Behauptung zurückgreifen, dass sie die Interessen aller BewohnerInnen zu vertreten habe. Berns linke Parteien haben diese Ausrede nicht. Auch wenn linke PolitikerInnen aller Parteien am Samstag auf der Strasse waren und den PolizistInnen so gut wie möglich auf die Finger schauten, hat sich die SP – die grösste linke Kraft in Bern – seltsam artig zurückgehalten. Früher wäre der Aufschrei laut gewesen, heute blieb er einfach aus. Grundrechte, die gerade den Linken immer wichtig waren, weil deren Beschneidung sich immer zuerst gegen sie gewandt hatte, spielen in den linken Debatten nur noch eine marginale Rolle. Der ehemalige Genfer SP-Nationalrat Nils de Dardel hat seinen Austritt aus der Partei kürzlich mit dem Fehlen eines wachen Instinktes bei der Verteidigung der Grundrechte begründet und das leise Abschleichen der SP aus diesen Debatten als wahltaktisches Manöver kritisiert. Tatsächlich ist es inzwischen so, dass die SP die Partei der Mittelklasse des guten Willens geworden ist, die zutiefst bürgerliche Ängste hat. Diesen Ängsten hat die Partei politisch nichts mehr entgegenzusetzen. Der Berner Ausnahmesamstag ist ein Beispiel dafür, ein anderes ist die unkritische Haltung zu Schengen, die mit der Illusion einer Annäherung an die EU eine massive Erweiterung polizeilicher, gar polizeistaatlicher Möglichkeiten bringt.

Das ist keine hoffnungsvolle Perspektive. Aber sie lässt sich gut begründen: Die polizeiliche Aufrüstung schreitet in den letzten Jahren in einem unglaublichen Ausmass voran. Und warum soll sie ausgerechnet am Samstag, dem 22. Januar 2005, mit dem Berner Grossaufmarsch ihren Höhepunkt erreicht haben?