Durch den Monat mit Bruno Baeriswyl (Teil 3): Chips in der Disco?

Nr. 47 –

Bruno Baeriswyl: «Die technische Entwicklung kann die persönliche Freiheit bedrohen.»

WOZ: Letzte Woche war die Verleihung der Big Brother Awards. Aufgefallen ist mir der Preis in der 
Kategorie «Arbeitsplatz»: Gewonnen hat der Media-Markt Dietikon, der seine Angestellten flächendeckend mit Video überwachen liess – auch in den Pausen und im WC-Vorraum. Gibt es viele Fälle in diesem Bereich?
Bruno Baeriswyl: Ja, die Überwachung am Arbeitsplatz nimmt stark zu. Man kann ja nicht nur mit Video überwachen, sondern auch alles aufzeichnen, was jemand an einem PC macht – wie viele Anschläge, welche Internetseiten jemand anschaut, was in den Mails steht. Es sind aber nur Aufzeichnungen erlaubt, die nötig sind für die Realisierung des Arbeitsverhältnisses. Überwachung, um zu sehen, was die Leute so tun, ist verboten.

Das können Angestellte aber praktisch nicht kontrollieren.
Einzelne Fälle kommen in die Medien, aber die Dunkelziffer ist wohl hoch. Es ist eine Tendenz aus den USA; dort ist Überwachung am Arbeitsplatz normal. Ein grosser Teil der Software kommt aus den USA und lässt sich für Überwachungen verwenden, die bei uns verboten sind.

Gibt es in den USA kein Datenschutzgesetz?
Nein. In einzelnen Bereichen gibt 
es Regelungen, aber im Allgemeinen, auch im Arbeitsbereich, ist nichts 
geregelt.

Betrifft Überwachung am Arbeitsplatz eigentlich nur Büros und Geschäfte, oder gibt es das auch zum Beispiel auf dem Bau?
Ja. Auf dem Bau werden Videoaufnahmen gemacht und ins Internet gestellt, um den Leuten zu zeigen, wie es mit der Baustelle vorangeht. Das ist erlaubt, aber man darf darauf nicht sehen, was die einzelnen Leute tun.

Ein anderer Bereich, in dem immer mehr überwacht wird und Daten gesammelt werden, ist der Sport.
In diesem Bereich gab es bisher keine klare Regelung, wer was machen darf. Jetzt gibt es sie: das sogenannte Hooligangesetz. Leider bringt es sehr schwerwiegende Eingriffe in die persönliche Freiheit. Statt so viele Leute zu überwachen und zu registrieren, hätten gezieltere Massnahmen der Polizei gegen Gewalttäter genügt.

Sportveranstaltungen und politische Demonstrationen werden häufig verglichen. Im Zusammenhang mit den Anti-Wef-Protesten hiess es oft: Wer in ein Stadion will, muss sich ausweisen, also muss das auch, wer an eine Demo will.
Das darf man nicht vergleichen. Ein Fussballmatch ist eine private Veranstaltung, und der Veranstalter kann bestimmen, wen er hereinlässt. Es gibt kein Grundrecht auf Zutritt in ein Stadion. Hingegen ist die Meinungsäusserungsfreiheit ein Grundrecht – verbunden mit dem Recht, den öffentlichen Raum zu benutzen.

Zurück zu den Big Brother Awards: Wem würden Sie einen Preis geben?
Wer nie so richtig beachtet wird, sind jene, die die Technologien entwickeln, liefern und vermarkten, zum Beispiel Software. Die Technologie wird einfach auf den Markt geworfen. Wie ein Medikament sollte sie auch eine Packungsbeilage haben, die über Risiken aufklärt und darüber, wie man sie vermeiden kann. Das ist ein Bereich, der bisher unangetastet geblieben ist. Es geht immer nur um jene, die es anwenden.

Was ist Ihre grösste Herausforderung in der nächsten Zeit?
Ganz wichtig ist die öffentliche Diskussion, damit die Leute erkennen, dass die persönliche Freiheit ein Wert ist, den wir schützen sollten. Und dass die technische Entwicklung diesen Wert bedrohen kann.

Sollten wir auch bewusst auf das technisch Mögliche verzichten?
Ja. Heute passiert das Gegenteil. Es heisst immer: Juhui, schon wieder etwas Neues, jetzt gibts diese Funktion auch noch. Es gibt jetzt Black Boxes für Autos, die das Fahren aufzeichnen, damit man bessere Versicherungsprämien bekommt. Und es gibt die Vision, dass jeder Mensch einen implantierten Chip hat, der alles aufzeichnet, was er sagt und tut. Das wird technisch machbar, weil die Speicherkapazität von Chips immer grösser wird. Heute sind schon Leute bereit, sich Chips unter die Haut zu spritzen, damit sie in eine Disco können. Hier wird eine Schwelle überschritten, obwohl es gar nicht notwendig wäre, nur weil es cool ist. Wenn wir uns nicht überlegen, was das bedeutet und ob wir das überhaupt wollen, werden wir einfach davon überschwemmt.

Und die Lifestyle-Ebene ist der Türöffner dafür.
Ja. Das zeigt sich auch bei den Handys. Vor zehn Jahren hätte niemand gedacht, dass ein Telefon auch eine Filmkamera sein könnte. Heute ist es normal – mit allen problematischen Konsequenzen.

Der Jurist Bruno Baeriswyl ist 
Datenschutzbeauftragter des Kantons Zürich und Präsident der Vereinigung 
der schweizerischen Datenschutzbeauftragten.