Gilet jaunes: Rote statt braune Sprenkel

Nr. 51 –

Seit Wochen beschäftigen die Proteste in Frankreich die KommentatorInnen. Die Debatte beruhte allerdings in Ermangelung genauer Daten hinsichtlich der sozialen und politischen Zusammensetzung der Gilets jaunes immer auch auf Mutmassungen. Nun hat ein ForscherInnenkollektiv verschiedener französischer Universitäten erste Zahlen einer gross angelegten Feldstudie in der Zeitung «Le Monde» veröffentlicht – und diese bergen Überraschungen.

Erwartungsgemäss belegen die Ergebnisse der fast siebzig WissenschaftlerInnen, die auf Demonstrationen und bei Blockaden in verschiedenen Städten und Regionen ausführliche Interviews führten, dass die Gelbwesten eher aus prekären Verhältnissen kommen. So liegt bei den Befragten das Medianeinkommen monatlich bei 1700 Euro, was rund dreissig Prozent weniger ist als in der Gesamtbevölkerung. Unter den erwerbstätigen Gilets jaunes ist fast jedeR Zweite AngestellteR (44,7 Prozent), deutlich mehr als in der Gesamtbevölkerung (27,2 Prozent). ArbeiterInnen sind leicht unterrepräsentiert (19,3 zu 20,8 Prozent), das Geschlechterverhältnis recht ausgeglichen.

Überraschend sind jedoch die Ergebnisse hinsichtlich der politischen Einstellungen. Ein Drittel der Befragten begreift sich als «weder links noch rechts», noch mehr allerdings, nämlich 42,6 Prozent, verorten sich links der Mitte. Dagegen sind es nur 12,7 Prozent, die angeben, politisch rechts zu stehen; davon begreift sich wiederum nicht einmal die Hälfte als «rechtsextrem».

Die Studie läuft noch, die in «Le Monde» publizierten Zahlen beruhten auf 166 Interviews. Inzwischen aber seien deutlich über 500 Gespräche ausgewertet, so Tinette Schnatterer vom Centre Émile Durkheim in Bordeaux, das die Studie initiiert hat – und die grossen Trends erweisen sich der Politologin zufolge als stabil.

Diese Daten widersprechen der verbreiteten Einschätzung, dass Rechte bis Rechtsextreme den Kern der Bewegung ausmachen. Vielmehr zeigt die Empirie, dass wohl ein wesentlicher Teil links steht – was zugleich den Verdacht nährt, dass bei manchem allzu raschen Urteil über die Gilets jaunes auch politisches Kalkül mit im Spiel war.