Staatskrise in Guatemala: Im politischen Debattierzirkel

Nr. 35 –

Regierungsschef Jimmy Morales wehrt sich tölpelhaft gegen Korruptionsvorwürfe, die seinen Sturz bedeuten könnten.

Die Situation erinnert fatal an den Sommer 2015. Damals wurde Guatemalas rechtspopulistischer Präsident Otto Pérez Molina nach wochenlangen Protesten gestürzt. Seit Anfang September jenes Jahres sitzt er wegen Korruptionsvorwürfen in Untersuchungshaft. Jetzt ist sein Nachfolger Jimmy Morales an der Reihe. Die Vorwürfe, die von Uno-Ermittlern der Internationalen Kommission gegen die Straffreiheit in Guatemala (Cicig) und Generalstaatsanwältin Thelma Aldana gegen ihn vorgebracht werden, sind die gleichen wie bei Pérez Molina: Morales habe seinen Wahlkampf mit illegalem Geld finanziert – ein in Guatemala längst bekanntes Spiel, bei dem die anonymen Spender hinterher ihren Einsatz in vielfacher Höhe aus der Staatskasse zurückerstattet bekommen.

Anders als der ehemalige General Pérez Molina, der seinen Skandal einfach aussitzen wollte, verhält sich der ehemalige Fernsehclown Morales angesichts der Vorwürfe tölpelhaft. Am Freitag vergangener Woche reiste er nach New York, um von Uno-Generalsekretär António Guterres – vergeblich – die Entlassung von Cicig-Chef Iván Velásquez zu verlangen. Am selben Abend beantragten Velásquez und Aldana die Aufhebung der Immunität des Präsidenten, um weiter juristisch gegen ihn vorgehen zu können.

«Jimmy muss gehen!»

Schon am Samstag gab es deshalb erste Demonstrationen vor dem Präsidentenpalast. Die Parole: «Iván bleibt! Jimmy muss gehen!» Tags darauf erklärte Morales den Cicig-Chef zur «unerwünschten Person» und ordnete seine sofortige Ausschaffung an. Das Verfassungsgericht legte diesen Befehl ein paar Stunden später auf Eis.

Velásquez ärgert Morales schon seit Anfang des Jahres. Damals wurden auf Antrag von Cicig und der Generalstaatsanwaltschaft der Bruder und der Sohn des Präsidenten in Untersuchungshaft genommen, weil sie mit gefälschten Belegen für nie erbrachte Leistungen die Staatskasse geplündert haben sollen. Fälle wie dieser gehören zum Kerngeschäft der Cicig. Die vor zehn Jahren eingerichtete Kommission aus rund 200 internationalen Juristinnen und Kriminalisten – eine weltweit einmalige Uno-Mission – soll das korrupte guatemaltekische Justizwesen auf Vordermann bringen. Velásquez ist inzwischen ein Volksheld in Guatemala und der geeignete Mann: Als Staatsanwalt in Kolumbien hat er Parlamentsabgeordnete gleich zu Dutzenden wegen ihrer Zusammenarbeit mit ultrarechten paramilitärischen Gruppen ins Gefängnis gebracht.

Zerstückelte Basis

Noch ist unklar, ob und wie Jimmy Morales die Krise politisch überleben kann. Nimmt der Präsident den Rauswurf zurück, macht er sich zur Witzfigur und muss mit der Aufhebung seiner Immunität durch das Parlament samt anschliessendem Prozess rechnen. Mehrere seiner Minister sind bereits zurückgetreten. Kein Parlamentarier, der noch einmal gewählt werden will, kann es sich erlauben, ihm den Rücken zu stärken. Bleibt Morales stur, ist wie vor zwei Jahren mit lang anhaltenden Protesten zu rechnen. Bereits jetzt haben in mehreren Städten Tausende demonstriert, im Hinterland blockierten Indígenas wichtige Verbindungsstrassen.

Sollten diese Proteste mit dem Sturz des Präsidenten enden, ist dies gleichzeitig ein Problem: Wen wählen, wenn die gesamte politische Klasse desavouiert ist? Vor zwei Jahren machten die GuatemaltekInnen den Scharlatan Morales zum Präsidenten, weil er politisch unbefleckt war und mit seinem Wahlspruch «Kein Dieb und auch nicht korrupt» den Slogan der Stunde hatte. Die Protestbewegung hatte sich damals gerade erst gefunden und war noch nicht in der Lage, einen eigenen Kandidaten oder eine Kandidatin aufzustellen. Sie hat zwar die Notwendigkeit einer landesweiten Organisation erkannt, ist aber über die Etappe der politischen Debattierzirkel noch nicht hinaus. In Ländern wie Guatemala sind schnell aufsteigende Parteien wie die spanische Podemos nicht zu erwarten. Die Basis ist zu zerstückelt: die städtische Mittelschicht, die StudentInnen, die Indígenas auf dem Land. Vor zwei Jahren haben sie es zum ersten Mal geschafft, gemeinsam zu demonstrieren. Gemeinsam politisch handeln können sie noch nicht.