«Storchenbiss»: Möglichkeiten des Seins

Nr. 6 –

Yael Pierens Erstling «Storchenbiss» warf keine hohen Wellen, als er im letzten Herbst erschien. Die Autorin wechselt zwischen Zeiten und Figuren, und auch nach der zweiten Lektüre haftet ihrem poetischen, nachdenklichen Text etwas Rätselhaftes an: keine leichte Kost.

Pieren, bald 24 Jahre alt, lebt zurzeit in Wien. 1989 als Tochter einer Deutschen und eines Ungarn in Basel geboren und dort auch aufgewachsen, finanzierte sie sich nach der Matur als Kellnerin ihre ersten «ernsthaften» Schreibversuche. Nach abgebrochenem Englischstudium vollendete sie «Storchenbiss». Seit 2011 studiert sie Philosophie und schreibt ihr zweites Buch.

«Storchenbiss» spielt zwischen Jetztzeit und den fünfziger Jahren in der Schweiz. Drei Figuren befinden sich auf der Suche nach Bodenhaftung – und stossen allmählich auf ihre schicksalhafte wechselseitige Verbundenheit. Die Protagonistin, eine junge Frau in einer Stadt am Rhein, lebt im Vakuum, will alles Gewesene abstossen und sich neu erfinden. Dann ist da ein Mann, auch er ohne Orientierung, der seine todkranke Mutter pflegt und also immerhin eine konkrete Aufgabe hat. Die Frau schliesslich, eine kämpferische Goldschmiedin, hat sich von unterdrückerischer Ehe und dörflicher Enge emanzipiert. Alle drei versuchen auf ihre Weise, das Erlebte zu begreifen, um sich eine Zukunft zurechtzulegen. «Storchenbiss» handelt aber auch vom schöpferischen Akt des fiktionalen Schreibens – vom Versuch, sich als Text zu erfinden.

An der Buch Basel im vergangenen November lasen Pieren und Verena Stössinger an einer Tandemveranstaltung der unabhängigen Schweizer Verlage. Zwischen den beiden Basler Autorinnen, deren Altersunterschied fast vierzig Jahre beträgt, entwickelte sich ein angeregtes Gespräch über «Reisen in die Vergangenheit». So unterschiedlich die von ihnen be- und erschriebenen Reisen motiviert und gestaltet sind: Sie führen hin zu mehr Klarheit. Ob diese Klärung mehr Leichtigkeit des Seins bedeutet, bleibt offen.

Yael Pieren: Storchenbiss. Rotpunktverlag. 
Zürich 2012. 176 Seiten. 26 Franken