Knapp daneben: Halber Keks und Hubert Kah

Nr. 50 –

Endlich ist Winterpause, endlich ist es kalt. Die «Schweden-Schnitte» Freddie Ljungberg (O-Ton die «Bunte») lächelt uns in den Unterhosen unter einer Frau liegend von Plakatwänden entgegen. Zeit, den Ernst des Ligaalltags hinter uns zu lassen und uns dem Leichten zuzuwenden.

Ein befreundeter Musikjournalist mit einer Schwäche für Leeds United erzählte mir neulich von Half Man Half Biscuit. Die seit den frühen achtziger Jahren bestehende Band aus Birkenhead, England, habe einst einen prestigeträchtigen Auftritt in einer grossen englischen TV-Musiksendung abgesagt, weil am selben Abend ihr Verein, die Tranmere Rovers, ein Heimspiel hatte. Nachforschungen zu dieser Legende ergaben, dass der Sender Channel 4 der Band sogar angeboten hatte, sie nach dem Auftritt per Helikopter von London nach Birkenhead zu fliegen. Half Man Half Biscuit lehnten ab.

Birkenhead liegt bei Liverpool, am andern Ufer des Mersey. Für die Tranmere Rovers interessiert sich in der Regel kaum jemand ausserhalb Birkenheads, mit Ausnahme einiger Leserinnen und Leser von Hooliganbüchern, die selbst bei niederschwelligen Leseangeboten Wert auf ein Mindestmass an Qualität legen (Kevin Sampson: Awaydays/Auswärtsspiele). Half Man Half Biscuit halten zu ihrem Verein, mit allen karrieretechnischen Konsequenzen. Was jenseits des Mersey in Anfield oder Goodison gespielt wird, geht sie nichts an.

Die Verbindung von Pop und Fussball auf der Insel ist verblüffend. Und ergreifend, handelt es sich bei den meisten von Popgrössen umgarnten Vereinen doch um ewige Verlierer oder traurige Unterligisten. Robbie Williams liebt Port Vale (derzeit Zwölfter der dritthöchsten englischen Spielklasse), weigert sich aber, beim Club als Geldgeber einzusteigen, weil er fürchtet, so sein Fandasein aufs Spiel zu setzen. Fatboy Slim ist mit seinem Plattenlabel Skint seit Jahren Trikotsponsor von Brighton & Hove Albion, wo als Stadionsprecher der Punkpoet Attila the Stockbroker amtet. Dass Elton John nicht Chelsea, sondern Watford und die Gallagher-Brüder von Oasis nicht ManU, sondern ManCity unterstützen, ist bekannt.

Geradezu legendär ist die Hingabe des Iron-Maiden-Bassisten Steve Harris für West Ham United, für die er einst als Junior spielte. 1986, im Palais de Beaulieu in Lausanne, wollte ich selber eines der beiden West-Ham-Schweissbänder ergattern, die Harris nach den Konzerten jeweils in die Menge warf. Kiloweise Nieten und meterlanges ungepflegtes Haar standen dem Vorhaben damals im Weg. Iron-Maiden-Konzerte weisen überdies eine erstaunliche Parallelität zu Fussballspielen auf: Während wir im Stadion auf ein Tor warten und es auf keinen Fall verpassen dürfen, denn vielleicht fällt ja nur eines, warten Iron-Maiden-Fans ein Konzert lang auf Eddie, das Bandmonster, bekannt von unzähligen Plattencovern und schwarzen T-Shirts. Eddie betritt irgendwann in Übergrösse die Bühne, an jedem Konzert, auf jeder Tournee. Doch niemand weiss, bei welchem Song. Da gilt: ausharren. Ein guter Freund und einstiger Metal-Weggefährte war dabei, als Iron Maiden vor wenigen Tagen im ausverkauften Zürcher Hallenstadion spielten. Ich fragte ihn: «Wann kam Eddie?» Seine Antwort: «Ich habe ihn nicht gesehen, ich war gerade auf der Toilette.» Das ist Pech, und wer in Fussballangelegenheiten etwas zum Phänomen der Toilettentore lesen will, dem sei Roddy Doyles «Republic Is a Beautiful Word» empfohlen. Es war 1990, und wenn Irland nicht traf, schickten sie Roddy pinkeln.

In der Schweiz will sich der Pop nicht die Finger verbrennen am Fussball. Zwar wurde in den vergangenen zwei Jahren viel zum Thema gesungen, aber stets gings um die Nati. Ob bei Plüsch («I setze alls», 2004), Baschi oder Gimma, die Songs sind für alle da, so man sie denn erträgt. Unverhohlen für einen Club einzustehen, getrauen sich in der Schweiz nur lokale Grössen (Radio 200000 für den FCZ, Vanilla Muffins für den FCB, Jack Stoiker für den FCSG). Die einzige Band von städteübergreifender Ausstrahlung, die zu einem Verein steht und ihn sogar besingt, ist Züri West («Hütt hei sie wieder mau gwunne»). Der Rest schweigt. Vielleicht fürchtet man sich, beim Bejubeln der einen die Fans der andern zu vergraulen. Oder der Schweizer Klubfussball interessiert die hiesigen Showgrössen zu wenig. Das würde auch erklären, weshalb im Hardturm vor wenigen Jahren Hubert Kah («Sternenhimmel») per Lautsprecherdurchsage als Tribünengast begrüsst wurde. Wer so tief in der Mottenkiste der Neuen Deutschen Welle wühlen muss, dem fehlt es wohl an einheimischem Glamour.

Es müssen ja nicht alle dem Beispiel des wendigen Unterhaltungsmusikers Nöggi folgen, der das Kunststück fertig brachte, eine Single für den FC Zürich-Affoltern («Mir sind vom FCA») und eine für GC («GC günnt») aufzunehmen, um danach an der Cupfeier des FCZ aufzuspielen. Aber etwas mehr Pop in den verstaubten Ehrenlogen wäre durchaus wünschenswert. Und sollte sich Sina dereinst ihrer Sion-Schweissbänder entledigen, ich stünde bereit.